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Amos ist einer der zwölf so genannten Kleinen Propheten in unserer Bibel.
Wer sich in der Bibel auskennt, weiß, dass das Buch Amos ziemlich kurz ist. Es hat nur neun Kapitel, während zum Beispiel das Buch des Propheten Jesaja 66 Kapitel hat und das des Propheten Jeremia 52.
Obwohl es ein so kleines Buch, enthält es doch ziemlich viele scharfe Worte, Worte, die wie Sprengstoff sind.
Denn Amos sprach zum Volk Israel in einer Zeit, in der großer Wohlstand herrschte und es sich die Reichen auf Kosten der armen Bevölkerungsschicht wohl gehen ließen. Ihre Ohren waren verstopft für die Anrede dich Gott.
Amos hatte die unangenehme Aufgabe, diesen selbstsicheren Leuten der Oberschicht, die nur das Wohlleben, das Festen und Feiern im Sinn hatten, das harte Gericht anzukündigen, und das etwa hundert Jahre, bevor sich diese Prophezeiung erfüllte, in einer Zeit, in der noch niemand etwas von der Katastrophe ahnte.
In diesem Zusammenhang hat er auch die Gottesdienste aufs Korn genommen, die die Israeliten im Nordreich in ihrem zentralen Kultort Bethel prächtig feierten.
Wahrscheinlich ist er als Gottesdienst-Störer aufgetreten. Mitten hinein in die feierliche Stimmung hat er ein hartes, ein schockierendes Wort Gottes ausgerichtet.
Ob es uns auch so schockiert wie die Israeliten damals?
Hören wir, was er der Gemeinde der angeblich Frommen in Bethel sagen musste, aus dem 5.Kapitel seines Buches, in den Versen 21 bis 24.
So spricht Gott:
Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen. Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert, so habe ich kein Gefallen daran und mag auch
eure fetten Dankopfer nicht ansehen.
Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören!
Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.
Haben wir denn richtig gehört?
Gott lässt durch den Propheten ausrichten, dass er die Gottesdienste nicht mehr mag?
Er mag es nicht, dass sich sein Volk versammelt, um sein Wort zu hören.
Er mag es nicht, dass die Angehörigen seines Volkes Opfer der verschiedenen Art aufsteigen lassen, zur Ehre Gottes und zur Verherrlichung seines Namens.
Er mag es nicht, dass schöne Musik gemacht und Lieder gesungen werden als Ausdruck der Freude und der Dankbarkeit gegenüber Gott.
Da fragen wir uns:
Wenn Gott schon damals die Gottesdienste nicht mochte, wenn er sie geradezu hasste und verabscheute, können wir dann so sicher sein, dass er unsere Gottesdienste mag und unser Singen und Beten annimmt?
Und wenn nicht - was dann? - Dann ist die Beziehung zu Gott gestört, ja, ganz unterbrochen!
Kritik am Gottesdienst - nicht von einzelnen Leuten, die dieses und jenes auszusetzen haben und immer gerne an etwas herummeckern, sondern von Gott selbst, dem unsere Gottesdienste doch gelten,
das können wir kaum fasen. Das ist so, wie wenn jemand, der oder die Geburtstag hat, ein Geschenk, das wir ihm oder ihr bringen, ablehnt und sagt: "Ich hasse das!"
Wir leben doch in der sicheren Überzeugung, dass wir, wenn wir sonntags in die Kirche gehen, bei Gott willkommen sind. Wir denken doch, dass er gnädig und mit Liebe auf uns schaut und sich freut, wenn wir zu ihm beten und für ihn singen.
Hat nicht Jesus selber in dem Gleichnis vom verlorenen Schaf, vom verlorenen Groschen und vom verlorenen Sohn und in anderen Gleichnissen erzählt, wie sehr sich Gott über jeden freut, der zu ihm kommt? Sagen wir denn das nicht auch unseren Kindern, dass sich Gott freut, wenn wir zu ihm beten? Das kann doch nicht wahr sein, denken wir, dass Gott uns hassen könnte und nichts, aber auch gar nichts von uns mehr annimmt.
Aber Gott hatte damals sicher Grund genug, eine solch schockierende Botschaft seinem Volk mitzuteilen. Der Schlüssel zum Verstehen steckt im letzten Satz, den der Prophet hier ausspricht:
Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.
Wenn der Prophet mit diesem Wunsch, ja mit dieser Erwartung, die fast wie ein Befehl klingt, schließt, dann zeigt das doch, dass es gerade daran im Volk gefehlt hat: an Recht und Gerechtigkeit.
Ich stelle mir das so vor, dass zu den prächtigen Gottesdiensten, die die Israeliten damals feierten, in erster Linie die Wohlhabenden gekommen sind. Es waren der König mit seiner Familie, seinen Hofbeamten und seinen Verwaltern in den einzelnen Orten, dann waren es Großgrundbesitzer, die in ihren prächtigen Villen wohnten. Es waren sicher auch angesehen Künstler, Musiker, Sänger und dann vor allem die vielen Preister, die am Heiligtum in Bethel ihren Dienst taten.
Sie kamen zum Gottesdienst, um allen zu zeigen, dass sie anständige Leute sind, Leute, die nichts falsch machen, Leute, die keine Unrecht tun. Aber gleich am nächsten Tag haben sie ihr Regiment über die arme Bevölkerung wider in voller Härte ausgeübt. Wer sich von den Kleinbauern verschuldet hatte, wurde rücksichtslos enteignet bis hin zum Verkauf in die Sklaverei.
Wenn wir das Amosbuch aufmerksam durchlesen, dann stehen uns die Haare zu Berge, wenn wir entdecken, was damals alles an Unrecht geschah. Mit Menschen wurde gehandelt; die Großgrundbesitzer verschacherten sie sich gegenseitig für eine geringe Summe; einmal heißt es: Ein Mensch ist nicht mehr wert als "ein Paar Sandalen" (Amos 2,6).
Das Geld regierte; Bestechung war an der Tagesordnung. Der Arme erhielt nicht mehr sein Recht im Tor, weil die angeklagten Reichen die Ältesten, die Recht sprachen, schon vor der Verhandlung mit Geld bestochen hatten. Auch Betrug war gang und gebe. Die Getreide- und Gemüse-Erzeuger haben Maße und Gewichte gefälscht, damit sie aus ihren Erzeugnissen noch mehr Profit herausschlagen konnten - alles auf Kosten der armen Bevölkerung, die sich dann von ihrem wenigen Geld noch weniger vom Lebensnotwendigen leisten konnte und manches Mal hungern musste.
Die Zeit damals ist unserer heutigen Zeit gar nicht so unähnlich. Was haben wir denn in letzter Zeit im eigenen Lande erlebt? Wie der Mammon regiert, wie große Geldsummen hin- und hergeschoben werden, auf schwarze Konten gebracht und in dunklen Kanälen versickern; wie Leute, vor denen wir große Achtung hatten, angesichts von Geldgeschenken wie Pappkameraden umgefallen sind , weich geworden sind und angebliche "Ehrenworte" angenommen haben, die sie dann nachher vorschützten, um nicht auf den Tisch legen zu müssen, wie sehr sie sich haben bestechen lassen.
Und wie muss man, seitdem der Markt immer mehr liberalisiert worden ist, als normaler Verbraucher aufpassen, dass man nicht von raffinierten, betrügerischen Geschäftemachern ausgenützt oder gar übers Ohr gehauen wird! Immer wieder kommt es vor, dass sich Menschen hoffnungslos verschulden, weil sie den mit aller Raffinesse ihnen unter die Nase geriebenen Angeboten erliegen und dann leichtfertig Bestellscheine unterschreiben oder im Internet das Ja anklicken.
Der Prophet Amos hatte damals einen klaren, unverfälschten Blick. Er machte um die Wahrheit keinen Bogen und sprach aus, was anderen peinlich war. Er hatte Zivilcourage, weil er Gott hinter sich wusste:
den Gott, der klare Gebote gegeben hatte, der kein Unrecht ungestraft lässt, auch wenn die Unrechtstäter scheinbar ihre Triumphe feierten und unbehelligt blieben.
Recht und Gerechtigkeit, das ist das Ziel Gottes mit uns Menschen. Gott wollte weder, dass Unrecht noch dass Zank oder Streit oder Neid in seinem Volk herrschen sollten.
Aber nun sind die Wohlhabenden von damals einen anderen Weg gegangen. Sie wollten nicht zu ihrem Unrecht stehen, sondern sie wollten es verstecken und sich den Anschein geben, als seien sie Unschuldslämmer.
Darum die harte Kritik Gottes an den Gottesdiensten ,die sie feierten:
Der Prophet sagte ihnen, sozusagen zwischen den Zeilen:
"Ihr versteckt das Unrecht, das ihr jeden Tag anderen antut, mit euren frommen Gesängen. Ihr wollt vor Gott besser erscheinen, als ihr tatsächlich seid. Ihr wollt vor Gott schön tun. Und mit Opfern wollt ihr ihn gnädig stimmen. Und nun soll Gott euch alles , was ihr falsch gemacht habt, einfach vergeben - damit ihr morgen die gleichen Fehler wieder begehen könnt?"
Die Gottesdienste der Israeliten damals waren falsch, unaufrichtig. Sie deckten sich nicht mit der Art, wie sie miteinander umgingen.
Ich denke, wir alle, die heute zum Gottesdienst gekommen sind, haben uns immer wieder zu prüfen:
Gibt es in meinem Leben etwas, das ich jetzt zudecke, wenn ich in die Kirche gehe? Sollte ich mir nicht besser ein Herz fassen und Unrecht, für das ich verantwortlich bin, in Ordnung bringen, ehe ich wieder in die Kirche komme?
Von Außenstehenden, die nie in die Kirche gehen, wird ja den Kirchgängern ständig unterstellt, sie seien falsch und heuchlerisch. Wir sollten uns über solche Behauptungen nicht aufregen. Sie sind zwar oft unfair und unbegründet, und in vielen Fällen benützen sie solche Kritik auch bloß als Ausrede dafür, dass sie selber nie in die Kirche gehen. Meistens sind es doch ganz andere Gründe, warum sie nicht kommen. Nein wir sollten uns über solche Kritik nicht aufregen, sondern sie zum Anlass nehmen, uns selbst zu prüfen, ob nicht wirklich etwas an uns ist, was zu unserem Kirchgang nicht passt und das wir ausräumen oder in Ordnung bringen sollten.
Es gibt noch eine weitere Art von Kritik an unseren Gottesdiensten heute. Viele, vor allem jüngere Leute, sagen, dass sie in unseren normalen Sonntagsgottesdiensten nicht vorkämen. Alles wirke veraltet: die Musik, die Lieder, die Sprache der Gebete, die Lesungen aus der Bibel. Und der Pfarrer rede am Leben vorbei. Und schließlich habe man als Gottesdienstebesucher kaum eine Möglichkeit, selbst mitzuwirken oder selbst etwas beizutragen zu dem, was im Gottesdienst geschieht. Darum erwarten heute sehr viele, dass neben den normalen Gottesdiensten mit Predigt und Lesungen und Liedern auch Gottesdienste in anderer Form angeboten werden. Vereinzelt wird das ja auch schon getan. Auch in unserer Gemeinde finden immer wieder Familiengottesdienste statt, Jugendgottesdienste, Gottesdienste mit Kindern der Kinderkirche oder von Frauen gestaltete Gottesdienste. Solche Versuche gehen in die richtige Richtung. Denn, das wird an dem, was Amos hier sagt deutlich: Unsere Gottesdienste müssen mit unserem tatsächlich geführten Leben übereinstimmen. Unser Leben soll in unseren Gottesdiensten zur Sprache kommen. Und das Ergebnis unserer Gottesdienste sollte sein, dass wir alle zugerüstet werden zu einem Leben im Gehorsam gegenüber den Geboten Gottes, so dass, wie Amos es hier sagt, Recht und Gerechtigkeit wie ein unversiegbarer Bach strömen können.
Wer sich in dieser Weise von den Gottesdiensten zurüsten lässt, der lässt sich in die Nachfolge rufen.
Der ist auch bereit, sein Kreuz auf sich zu nehmen, wie es Jesus gesagt hat (Markus 8,34), das heißt: Unangenehmes in Kauf zu nehmen wie Spott oder Geringschätzung durch andere.
Noch etwas will der Prophet uns deutlich machen. Im rechten Gottesdienst, der Gott gefällt, lassen wir Gott als einen gelten, den wir nicht beeinflussen oder gar vereinnahmen können.
Die Leute damals, zur Zeit des Propheten, dachten, sie könnten Gott mit ihren Opfern und Liedern besänftigen. Sie dachten: "Wenn wir uns unsere Gottesdienste etwas kosten lassen, wenn wir wertvolle Tiere zum Opfer darbringen, dann wird Gott als Gegenleistung ein Auge zudrücken und uns für unsere Verfehlungen nicht bestrafen." Sie dachten sogar: "Gott wird uns dann Glück im Leben schenken und uns vor Krankheit und Unglück bewahren."
So erlebt man es ja in vielen Religionen, dass Menschen bestimmte Pflichten erfüllen und Bußleistungen erbringen wie zum Beispiel Fasten oder Wallfahren oder Geldspenden. Und sie erwarten dann, dass Gott ihnen mit entsprechenden Gegenleistungen antwortet.
Doch Gott ist anders, als wir denken. Er ist der Einzige, dem keine Grenzen seiner Herrschaft gesetzt sind.
Gott ist anders, als wir denken, hat Kurt Rommel in einem Lied gedichtet. Er ist für uns kein frommer Traum. Nur Gott kann unser Leben lenken, denn er schwebt nicht im Weltenraum. Gott passt nicht in unsre Formen. Er ist so anders, er ist Gott. Er setzt sich selber seine Normen, die nicht begrenzt sind durch den Tod.
Auch wenn Gott straft, so will er seine Welt und seine Menschen nicht vernichten. Das hat er an dem Volk gezeigt, das er sich in besonderer Weise auserwählt hat. Auch in Notzeiten hat er es nicht verlassen. Auch in der Babylonischen Gefangenschaft schickte er den Juden einen Propheten, der sie getröstet hat. Bis zum heutigen Tag erhält er sein Volk, auch wenn es oft seine Gebote übertritt.
Wir wissen, wie reichlich uns Gott durch Christus beschenkt. Nicht wir müssen Opfer bringen, um Gott zu besänftigen und versöhnen. Nein, Gott selber hat ein Opfer gebracht, ein Opfer, das gar nicht größer hätte sein können: seinen eigenen Sohn.
Seither zeichnet das den rechten Gottesdienst aus: dass wir dankbar die Geschenke betrachten, die er uns im Laufe der Geschichte hat zukommen lassen, und diese Geschenke dann auch annehmen und sie in unser Leben hinein wirken lassen.
Durch Mose hat er uns sein Recht wissen lassen. Wir haben feste Maßstäbe, an denen wir unser Leben ausrichten können. Die Gebote Gottes sind Gebote zum Frieden. Und, wie Jesus gesagt und gezeigt hat: Die Gebote Gottes wollen in unseren Herzen Liebe erwecken, nämlich Liebe zum Nächsten. Denn die Liebe erfüllt alle Gebote (Römer 13,10)..
Durch seinen Sohn Christus, der sich am Kreuz geopfert hat, hat uns Gott Gerechtigkeit geschenkt, von der wir nehmen können. Nicht mehr wir müssen uns vor Gott rechtfertigen, nein: Gott spricht uns dank des Blutes Jesu gerecht.
Das steht auch hinter den Zeilen von Kurt Rommels Lied, in dem es weiter heißt: Gott ist anders. Er ist Leben. Er ist es, der uns leben hieß. Er will uns neues Leben geben. Dazu er Christus sterben ließ. Gott ist anders als wir alle. Denn er ist nicht vom Tod bedroht. Ein Leben ohne Tod für alle, das ist sein großes Angebot.
Darum sollen unsere Gottesdienste das widerspiegeln, dass Gott uns mit Leben beschenkt.
Im rechten Gottesdienst muss daher am Anfang der Dank stehen. Gott soll groß gemacht werden. Wir stehen als Empfänger seiner Gaben ganz klein und bescheiden vor ihm.
Im rechten Gottesdienst muss ferner in uns die Überzeugung gefestigt werden, dass Gott Recht und Gerechtigkeit auch in unser Zusammenleben miteinander hinein legt; und dieses Geschenk wollen wir mit Freude annehmen.
Im rechten Gottesdienst sollen und dürfen auch Probleme unseres Lebens, unseres Alltags, angesprochen werden, denn er will sich mit seinem guten Geist einem jeden persönlich schenken.
Darum sollen möglichst viele, die am Gottesdienst teilnehmen, auch mitwirken, damit deutlich wird, wie mannigfaltig Gott einem jeden und einer jeden in seinem und ihrem ganz persönlichen Leben hilft.
Rechte Gottesdienste, die Gott gefallen, wecken schließlich auch die Bereitschaft zur Nachfolge. Diese Bereitschaft schließt ein, dass wir bereit werden, die Gebote Gottes zu halten und bereit sind, für ein gerechtes Zusammenleben untereinander zu arbeiten.
So gehören ganz praktische Dinge im Leben zu den Konsequenzen des Gottesdienstes:
dass wir gerne miteinander teilen, dass wir gerne einander helfen mit konkretem Tun, mit Zeit, Anteilname und Begleitung.
Im rechten Gottesdienst wird jedesmal deutlich, dass wir alle zusammengehören, weil wir durch die Taufe von Gott in die Schar seines Volkes aufgenommen worden sind. Ich bin getauft, so lernen es die Konfirmanden, damit sage ich: Ich habe Brüder und Schwestern auf dieser Erde. Ich gehöre zur Familie Gottes, die er in allen Ländern, Völkern und Rassen hat. Amen.
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