Predigt 2 Pfarrer Rebstock

Predigt beim ökumenischen Bibelsonntag am 30.Januar 2000 in der katholischen Kirche St.Marien

Text: Psalm 1

Thema: Wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen.

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

warum halten wir überhaupt den ökumenischen Bibelsonntag?

Ich habe den Eindruck, dass diese Einrichtung erstens vielen Urbachern noch gar nicht richtig bekannt ist, obwohl wir den gemeinsamen Bibelsonntag jetzt schon seit vielen Jahren begehen. Und zweitens habe dich den Eindruck, dass viele nicht wissen, wozu dieser Sonntag gut ist.

Ich will die Antwort geben: Der ökumenische Bibelsonntag soll deutlich machen, dass sich alle Christen, gleich welcher Konfession, auf die eine, für alle gleiche Bibel stützen. Sie hören also alle auf das, was ihnen Gott in der Bibel sagen will. Sie wollen sich alle vom Wort der Bibel den Weg zum rechten Leben weisen lassen. Im Hören auf das Wort der Bibel sind wir also schon lange eins, auch wenn wir in verschiedenen Kirchen zu Hause sind.

In diesem Jahr ist uns für den ökumenischen Bibelsonntag ein programmatisches Bibelwort zur Predigt gegeben. Es ist der erste Psalm. Mit dem ersten Psalm wird in unserer Bibel der Reigen der 150 Psalmen eröffnet, die das Buch des Psalters füllen.

Wir kennen Psalmworte, die uns im Leben schon wichtig geworden sind. Das bekannteste Psalmwort ist wohl dieses aus dem 23.Psalm: "Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen."

Der erste Psalm ist ein programmatisches Wort, wie ich schon sagte. Er ist nämlich so etwas wie ein Vorwort zu allen Psalmen. Wie bei einem Vorwort, das jemand zu einem Buch schreibt und das wir auf den ersten Seiten eines Buches lesen, so wird auch in diesem biblischen Vorwort zu den Psalmen schon ausgesprochen, worauf es ankommt, wenn wir Gottes Wort hören, lesen und es mit den Worten der Psalmen beten. Es kommt darauf an, so sagt es dieser erste Psalm, dass wir werden "wie ein Baum gepflanzt an Wasserbächen". So lautet auch das Thema des heutigen gemeinsamen Bibelsonntags.. Hören wir nun diesen ersten Psalm. Ich lese ihn nach der Einheitsübersetzung:

Wohl dem Mann, der nicht dem Rat der Frevler folgt, nicht auf dem Weg der Sünder geht, nicht im Kreis der Spötter sitzt, sondern Freude hat an der Weisung des Herrn, über seine Weisung nachsinnt bei Tag und bei Nacht. Er ist wie ein Baum, der an Wasserbächen gepflanzt ist, der zur rechten Zeit seine Frucht bringt und dessen Blätter nicht welken. Alles, was er tut, wird ihm gut gelingen.

Nicht so die Frevler: Sie sind wie Spreu, die der Wind verweht. Darum werden die Frevler im Gericht nicht bestehen noch die Sünder in der Gemeinde der Gerechten. Denn der Herr kennt den Weg der Gerechten, der Weg der Frevler aber führt in den Abgrund.

Das Wichtigste steht gleich in den ersten drei Versen. Ich will sie nochmals lesen, allerdings nur die positiven Aussagen. Die negativen Aussagen über die Frevler, die Sünder und die Spötter will ich zunächst einmal ausklammern. Dann lauten diese ersten Verse so:

Wohl dem Mann, der Freude hat an der Weisung des Herrn und über seine Weisung nachsinnt bei Tag und bei Nacht. Er ist wie ein Baum, der an Wasserbächen gepflanzt ist, der zur rechten Zeit seine Frucht bringt und dessen Blätter nicht welken.

Noch deutlicher sagt es die Übersetzung der Guten Nachricht:

Wie glücklich ist ein Mensch, der Freude findet an den Weisungen des Herrn, der Tag und Nacht in seinem Gesetz liest und darüber nachdenkt! Er gleicht einem Baum, der am Wasser steht: Jahr für Jahr trägt er Frucht, sein Laub bleibt grün und frisch.

Wer möchte das nicht: einem Baum gleich sein, verwurzelt sein auf gutem Grund, an einem Bach oder an einem künstlich angelegten Wasserlauf seinen Standort haben, Frucht hervorbringen und immer grünen? Dieses Bild von dem gut gedeihenden Baum, dem es an nichts fehlt, der blüht und Gutes hervorbringt, dieses Bild ist ein Gleichnis für erfülltes Leben, für ein Leben, das gelingt.

Das Gegenbild spricht aber auch für sich. Im Psalm 1 heißt es weiter:

Nicht so die Frevler: Sie sind wie Spreu, die der Wind verweht.

Auch diesen Vers hören wir in der Fassung der Guten Nachricht:

Ganz anders geht es denen, die nicht nach Gott fragen:Sie sind wie Spreu, die der Wind davon bläst.

Die Frevler sind Menschen, die bewusst das Böse tun, nämlich, das, was Gott nicht will. Es sind also Leute, die nichts nach Gott fragen, sondern die selber ihr eigener Gott sein wollen. Diese Menschen werden hier als haltlos beschrieben. Sie haben keinen Bestand, sie sind wie Spreu, die nach dem Dreschen des Getreides nutzlos zurück bleibt, in die der Wind hineinfährt, um sie in alle Himmelsrichtungen zu zerstreuen. Das ist ein Schreckensbild. Das Leben, das so kostbar ist, kann wie Spreu verweht werden! Wer die Wahl hat, dem fruchtbaren Baum oder der Spreu zu gleichen, der ist wirklich gut beraten, die erste Alternative zu nehmen: den fruchtbaren Baum.

Aber ist denn das Leben so eindeutig? Geht es denn in diesem Entweder - Oder auf? Bin ich entweder ein fruchtbarer Baum oder nutzlose Spreu? Gehöre ich entweder zu den Gerechten oder zu den Frevlern? Wer traut es sich zu, sich und die anderen da einzuordnen? Wer ist so kühn, andere in Gute und Böse einzuteilen und sich selber in der Regel den Guten zuzuordnen?

Der erste Psalm kann uns dazu verleiten, dass wir nachrechnen: Bin ich drin oder draußen? Ist Herr X oder Frau Y dabei, oder gehören sie auf die andere Seite? Dabei messen wir einander gerne mit Fragen der Moral. Es ist ja in der Tat nicht nebensächlich, wie ich und andere leben, wie ich mich gegenüber meinen Mitmenschen benehme, wie sich andere zueinander verhalten. Wenn in der Bibel das Wort "Gerechte" auftaucht, dann ist damit immer die Gemeinschaft der Menschen angesprochen und damit auch das Verhalten zueinander. Aber wenn wir anfangen, Moral zu prüfen, dann ist es nicht mehr weit zu gesetzlicher Überheblichkeit. Solche Prüfungen werden in die Enge führen, in kleinliches Nachrechnen, und dabei werden wir hart: hart im Urteil über andere, vielleicht auch im Urteil über uns selbst. Wo bleibt dann die Freude, der jubelnde Auftakt, mit dem der erste Psalm und das ganze Buch des Psalters beginnt?

Wohl dem Manne!, was soviel hießt wie: Freuen darf sich der Mensch!, oder: Glücklich zu preisen ist der Mensch!

Dieser Ausruf erinnert uns an den Beginn der Bergpredigt Jesu im Matthäusevangelium, Kapitel 5. Jesus beginnt seine Bergpredigt mit den Seligpreisungen: Selig, die arm sind vor Gott, selig die Trauernden, selig, die keine Gewalt anwenden usw. Das heißt soviel wie: Freuen dürfen sich alle, die nur noch von Gott etwas erwarten. Freuen dürfen sich alle, die unter dieser heillosen Welt leiden. Freuen dürfen sich alle, die auf Gewalt verzichten usw. Mit diesem Ausruf: Wohl dem Menschen! oder Freuen dürfen sich alle! werden Spuren gelegt, die ins Weite führen, nämlich zur Freude an Gott, zum Leben in froher Beziehung zu Gott, zum Leben in gelingender Gemeinschaft mit andern. Auch hier wird zum Gerechtsein aufgerufen. Aber dieses Gerechtsein hat seine Wurzeln nicht in der Angst, ob ich alle Gebote auch erfülle, nicht in dem Ehrgeiz, dass ich unbedingt perfekt sein will, dass ich bewundert und gelobt sein will. Sondern dieses Gerechtsein ist verwurzelt in der Freude und in der Liebe. Nur wer in der Freude und in der Liebe seinen Wurzelgrund hat, der kann sich entfalten und wachsen wie ein Baum, der gut verwurzelt ist, immer genug Wasser bekommt und gute Frucht hervorbringt.

Wachsen wie ein Baum: Dieses Bild möchte uns auf einen guten Weg locken. Es ist für uns wie ein Wegweiser, der uns auf den richtigen Lebensweg führen will: auf den Weg, auf dem wir dankbar und froh das Leben annehmen, wie es uns Gott schenkt. Wer ab und zu wandert, der kennt die Suche nach eindeutigen Wegweisern. Da genügt nicht ein Farbtupfer an einem Baum, sondern es muss eine klare Richtungsangabe dabei sein, damit man den Weg findet. Nichts ist ärgerlicher, als wenn Wegweiser verdeckt oder verblasst oder nicht mehr deutlich zu erkennen sind oder wenn sie gar fehlerhaft sind und uns in die falsche Richtung weisen. Wenn wir den Psalm 1 so betrachten: als einen Wegweiser, dann sagt er uns: Auf dem Lebensweg, den wir gehen, braucht es Hilfen, um auf einer guten Spur zu bleiben und sichere Schritte zu tun. Wenn Menschen auf diese Wegzeichen achten, werden sie wachsen und Frucht bringen wie gut verwurzelte Bäume.

Ein erster Wegweiser ist die Frage nach den Menschen, mit denen ich umgehe. Mit wem habe ich Gemeinschaft? Mit welchen Menschen verbringe ich meine Zeit? Sind es Menschen, die mich herausfordern, die mir gut tun, denen ich vertrauen kann und die mir vertrauen? Oder sind es solche, die mich ausnützen, mir schaden, mich davon abhalten, mit Gott auf der richtigen Spur zu bleiben? Es geht darum, dass ich darauf achte, wie ich mich von anderen prägen lasse.

Ein weiterer Wegweiser ist die Frage nach den Wurzeln: Wo mache ich mich fest? Worauf verlasse ich mich? Wo finde ich Halt? Beziehe ich meinen Standpunkt aus dem Vertrauen darauf, dass Gott es gut mit mir meint? In der Beziehung zu Gott kann ich meinen "Selbstwert" im positiven Sinne gewinnen. Ich nehme zum Beispiel die Worte aus Psalm 36 auf: Bei dir, Gott, ist die Quelle, aus der mir Lebenskraft zufließt. Die Liebe Gottes ist auch dann da, wenn ich Fehler mache und an etwas scheitere, wenn ich versage und mich vor mir selbst und vor anderen schäme. So erkenne ich, dass ich nicht von dem leben muss, was ich selber kann oder aus mir selbst hervorbringe, sondern von dem, was mir geschenkt wird. Es ist dabei so wie bei einem Baum; er ist ganz und gar auf guten Wurzelboden und ausreichend Wasser angewiesen, damit er leben und wachsen kann. Das zu wissen, tut gut. Es stärkt mich, wenn ich Tiefschläge erleide und dunkle Stunden erlebe.

Ein dritter Wegweiser ist die Einladung, auf Gott zu hören. Dass Gott mich liebt, erfahre ich aus den Worten der Bibel, wenn ich die Erfahrungen bedenke, die das Volk Israel mit Gott gemacht hat. Die Liebe Gottes erfahre ich außerdem, wenn ich die Geschichten vom Leben und Sterben Jesu in mich aufnehme. Hier ist ein unerschöpflicher Schatz in der Bibel verborgen, der gehoben werden kann. Diesem dritten Wegweiser wollen wir am heutigen Bibelsonntag noch ein Stück weit folgen.

Die Bibel gibt uns Anleitung zu einem Leben, das gelingen kann, und zu einer Beziehung zu Gott, die mich froh und zuversichtlich macht. Von den ersten Beterinnen und Betern, die diesen Psalm einst gebetet haben, kann ich dies lernen: Sie freuten sich an der Tora. Die Tora, das ist die Sammlung der Schriften, die Gottes Gebote enthalten. Meistens wird dieses hebräische Wort im Deutschen mit dem Wort "Gesetz" wiedergegeben. Für die Beter des ersten Psalms hatte dieses Wort "Gesetz" nicht die negative Bedeutung, die ihm heute oft angehängt wird. Für viele ist das Gesetz und sind die Gebote, die es enthält, lästige Einschränkungen, von denen sie sich lossagen wollen. Die Bibel aber vermittelt uns einen anderen Zugang zum Gesetz: Die Tora ist ein Ausdruck der Beziehung Gottes zu uns. Die Zehn Gebote stehen im Zusammenhang mit der Befreiung des Volkes Israel aus der Sklaverei. Mit seinen Geboten sagt Gott seinem Volk: "Ich bin euer Gott! Ich will mit euch verbunden sein!" Die Gebote geben damit Hilfen, wie das Leben in der Beziehung zu Gott und im guten Miteinander unter uns gestaltet werden kann. Die Tora ist also keine lästige Einschränkung von Lebensmöglichkeiten, auch keine Beschneidung von Freiheit, sondern sie ist Anweisung zu einem Leben, das gelingt. Es lohnt sich daher, mit ihr umzugehen und Tag und Nacht über sie nachzusinnen, wie es hier im Psalm heißt. Es ist gut, die Lebensworte der Tora bei dem, was meinen Tag bestimmt, als Leitfaden zu nehmen Und es tut gut, sie zu mir sprechen zu lassen, wenn bei Nacht Ängste wach werden. Hier bin ich mit meinem ganzen Menschsein einbezogen: mit meinem Kopf, mit meinen Gefühlen und mit meinem Tun.

Aber haben wir überhaupt noch Zeit, um dieses heilbringende Lebenswort Gottes aufzunehmen? Wir werden doch von vielen Worten überschwemmt und mehr noch von Bildreizen, die Tag für Tag auf uns einstürmen. Immer neue Informationen, immer neue Impulse lassen uns nicht zur Ruhe kommen. Es kann einem schwindelig werden. Man kann wirklich die Orientierung verlieren. Um so wichtiger ist es, dass wir Orientierung bewußt suchen. Auch wer wenig Zeit hat, vergisst das Essen und das Schlafen nicht. Wer zu ahnen beginnt, wie hilfreich die Weisungen Gottes sind, wird sich Zeit nehmen, sie zu lesen und zu bedenken. Es ist nicht einfach. Doch es geht. Es liegt auch an unserem Wollen. Immer wieder können wir Minuten aussparen, um Lebensworte der Bibel zu uns reden zu lassen.Wir können Räume aufsuchen, die zur Sammlung helfen, können störende Lärmquellen ausblenden und abschalten, was uns ablenken will. Wir können auch Hilfen entdecken, die uns gut tun, zum Beispiel Musik oder gemeinsames Singen. Wir können uns Zeit nehmen zum Beten und zum Besuch des Gottesdienstes am Sonntagmorgen. Wir können zu Gesprächskreisen gehen, in denen das Wort der Bibel bedacht wird.

Dieser Psalm 1 lädt uns auch dazu ein, mit den Psalmen umzugehen. In jedem Gottesdienst werden Psalmen gebetet und gesungen. Die Psalmen decken uns, um mit einem Bild zu sprechen, den Tisch mit köstlichen Speisen, die uns schmecken und auch wirklich nähren. Sie leihen uns Worte, mit denen wir unserem Dank an Gott und unserer Klage ihm gegenüber Ausdruck geben können. Ob wir wohl Zeit finden, jeden Tag mit einem Psalm zu beginnen und zu beenden?

So kommt es also auf ständig neue Übung an: Übung im Hinhören, im Aufnehmen, im Umsetzen. So kann Wachstum geschehen. Wer aufmerksam in der Beziehung zu Gott lebt, der wird wachsen wie ein Baum, der am Wasser steht. Seine Blätter werden niemals welken, auch dann nicht, wenn der Tod unserem irdischen Weg eine Grenze setzen wird. Amen.