Predigt 14 Pfarrer Karle

Predigt von Pfarrer Hans-Georg Karle
Gehalten zum 05. Oktober 2003 in der Afrakirche Urbach 
Zum Erntedankfest: Gespräch mit dem Tomatenmännchen 

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Liebe Festgemeinde,

liebe Kinder, liebe Erwachsene!

Ich sehe, Ihr sucht genauso wie ich: Ist heute niemand auf der Kanzel?

Die letzen Male am Erntedankfest, da war doch immer jemand Besonderes da oben. Also: ich weiß auch nicht: Angekündigt war jemand – aber sehen tue ich niemand.

Tommy lässt sich an der Kanzelbrüstung blicken

„Doch! Ich bin doch hier!“

Ja, wer bist denn du?

„Ich bin Tommy, das Tomatenkind.“

Warum bist du denn so schüchtern? Komm, zeig’ dich doch mal allen. Du brauchst doch nicht so rot zu werden! Du bist ja eine ganz hübsche!

„Meinst du? Ich hab mich gar nicht so richtig getraut, weil ich doch so klein bin und nicht so robust wie Sieglinde, die Kartoffel, die vor zwei Jahren hier war oder gar wie die Krautliesel im vergangenen Jahr.“

Aber dafür hast du eine ganz tolle Farbe! Und du willst heute die Erntedankfestpredigt halten?

„Ja. Ich bin nämlich die Frucht dieses Jahres. Mich hat es im Sommer in Hülle und Fülle gegeben. Und so reif wie in diesem Jahr bin ich, glaube ich, noch nie geworden. Ich mag nämlich die Sonne – viel Sonne und Wärme. Und Sonne und Wärme gab es ja genug in diesem Jahr! Kälte bekommt mir gar nicht. Ich bin sehr frostempfindlich, wisst ihr  Den Regen kann ich auch nicht so leiden. Von dem bekomme ich Flecken. Und wenn es zuviel regnet, dann werde ich richtig krank. Manche sagen dann, ich werde faul. Aber das stimmt gar nicht! Das ist eine Beleidigung, wenn sie ‚Du faule Tomate!“ rufen.

Damit ich keine Flecken bekomme, machen die Gärtner manchmal so ein Dächle über mich. Das hätte ich dieses Jahr gar nicht gebraucht, weil’s gar nicht geregnet hat. Das war wirklich ein ganz toller Sommer für mich, so richtig schön heiß und trocken!

Warum hast du dich dann so geniert, heute auf die Kanzel zu kommen?

„Ja, weißt du: ich bin doch nicht so bedeutend und so wichtig wie die Kartoffel oder das Kraut: Das sind einfach Grundnahrungsmittel. Mich brauchen die Menschen meistens nur zur Garnierung, um die großen Speiseplatten oder den Kartoffelsalat zu dekorieren. Für manche bin ich dabei noch zu rot. Da legen sie dann noch Petersilie auf mich drauf, da bin ich dann wenigstens rot-grün.

Es soll sogar Kinder geben, die mich gar nicht mögen. ‚Ich mag keine Tomaten!’, rufen sie.“

Ist das wahr, liebe Kinder? Gibt es welche unter euch, die keine Tomaten mögen?

„Aber wenn man dann genauer nachfragt, mögen sie mich wohl doch: Zermanscht und mit ganz viel Zucker essen sie mich tonnenweise – als Ketschup zu den Pommes. Wenn ich ihnen dann sage, dass Ketschup aus Tomaten gemacht wird, wollen sie es gar nicht glauben. Und als Sauce für die Spaghettis mögen sie mich auch ganz arg. Die sehen mich in der Tube oder in der Flasche. Dass ich aber in Wirklichkeit schön rund bin und an einem Strauch gewachsen, können sie sich gar nicht vorstellen!“

Ja, liebe Tommy, so sind die Menschen, nicht bloß die Kinder, auch die Erwachsenen: Oft erkennen sie gar nicht richtig den Grund der Dinge. Sie merken gar nicht, dass alles was sie sind und haben, letztlich nicht von ihnen selber gemacht und hergestellt, sondern ohne ihr Zutun gewachsen und gereift ist.

„Das ist wahr! Ich bin zwar nur ein kleines Tomatenkind, aber ich habe mir schon viele Gedanken darüber gemacht. Was wäre ich ohne Sonne und ohne Wärme: Ich würde ganz klein und grün bleiben. Die Menschen probieren ja dann manches – und die sind gar nicht dumm. Sie stecken mich dann in große Glashäuser. Wenn da – auch an kalten Tagen – die Sonne draufscheint, dann wird es ganz warm und ich werde auch rot. Und wenn gar keine Sonne scheint, heizen sie das Glashaus kräftig. In Holland machen sie das in ganz großem Stil. Das gibt dann jede Menge Tomaten. Aber, ich kann mir nicht helfen: Das sind irgendwie langweilige Tomaten. Die sehen alle völlig gleich aus: Eine wie die andere: rund und rot. Aber sie schmecken auch alle gleich. Verglichen mit mir, die ich draußen in der Sonne und an der frischen Luft gereift bin, sind die wirklich fade.

Der Mensch kann viel – und das ist gut so. Aber am besten macht es Gott. Genau genommen geht das in den Glashäusern ja auch nur mit Gottes Hilfe. Aus was ist denn das Glas?“

Wisst Ihr es, liebe Kinder?

Das ist nicht schlimm, wenn ihr es nicht wisst. Eure Eltern wissen es wahrscheinlich auch nicht so genau und auch ich musste im Lexikon nachschauen. Glas besteht zum großen Teil aus einer durch große Hitze verflüssigte Mischung verschiedener Grundrohstoffe wie Quarzsand, Kalkstein, Dolomit, Feldspat, Pottasche, Salpeter, Soda, usw. Und das alles finden wir in der Natur, in den Steinen, in der Erde. Und das alles haben nicht wir Menschen gemacht. Das war schon da, bevor Gott die Menschen geschaffen hat.

„Ja, diese ganze schöne Welt hat Gott geschaffen! Aber wie ist das mit der Heizung von diesen Glashäusern? Die machen doch die Menschen an.“

Ja, liebe Tommy: Die Menschen machen die Heizung an und aus. Damit es aber richtig warm wird, brauchen sie auch solche Grundrohstoffe: Erdöl, z.B., dass man aus dem Erdboden pumpt oder Erdgas. Auch das kommt – wie der Name sagt, aus der Erde. Weil diese Rohstoffe aber mit der Zeit immer weniger werden, muss der Mensch nach anderen Energiequellen schauen. So sammelt er zum Beispiel Sonnenwärme auf den Dächern oder baut große Windräder, die Motoren antreiben, aus denen Strom gemacht werden kann.

„Da kann also der Mensch sehr viel. Aber – verstehe ich das richtig: Er kann das nur, wenn Gott ihm dafür das nötige Material gibt: Erde, Steine, Wasser, Wind und Sonne?“

Genau!

„Aha! Dann muss ich jetzt scharf weiterdenken, bevor jemand auf den Gedanken kommt, aus meinem kleinen Tomatenhirn Ketschup zu machen: Der Mensch kann also sehr, sehr viel. Der kann mich, kleine Tomate, zum Reifen bringen, auch wenn nur wenig Sonne scheint. Aber er könnte dies alles nicht, wenn Gott ihm dafür nicht das nötige Material geben würde.“

Ja genau – und den Verstand. Damit der Mensch denken kann und tolle Sachen erfinden.

(NachdenklichJ  „Hmm –Hmm…“

Denkst du gerade über was nach?

„Ja – also jetzt werde ich wieder rot und trau mich gar nicht es zu sagen…“

Was  denn?

„Also, wenn ich das jetzt sagen darf, hier oben von der Kanzel: Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Menschen wenig oder gar keinen Verstand, sondern nur Ketschup in ihrem Kopf haben!“

Wie kommst du denn darauf?

„Also, verzeihe, wenn ich dass so sehe: Da kann der Mensch auch mit wenig Sonne reife Tomaten machen und sicher noch viele andere nützliche Dinge mehr, damit es genug zu essen gibt auf dieser Welt. Und trotzdem müssen noch soo viele Menschen, vor allem auch Kinder auf dieser Welt an Hunger sterben. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen ihren Verstand vielfach für ganz andere, unnötige, ja schädliche Dinge verwenden.

An was denkst du da?

An Waffen zum Beispiel. Millionen und Milliarden geben sie dafür aus, um immer genauere und tödlichere Bomben und Raketen herzustellen. Warum verwenden die Menschen das viele Geld und ihren Verstand nicht dafür, um Dinge zu entwickeln, die helfen, dass niemand mehr hungern muss?

Ja, warum eigentlich? Du stellst eine wichtige Frage, Tommy. Ich kann mir das nur so erklären: Die Menschen wissen nicht mehr oder denken nicht daran, von wem sie alles haben. Sie denken, sie könnten und müssten alles selber machen. Sie glauben nicht, dass Gott ihnen alles schenkt und es genug für alle gäbe, wenn sie Ihm vertrauen und ihren Verstand dafür einsetzen, dass was er ihnen gibt, so zu verwenden, dass es für alle reicht. Stattdessen haben sie immer Angst, zu kurz zu kommen. Und deshalb wollen sie möglichst viel, ja alles für sich selber haben und gönnen den anderen nichts. Kennst du die Geschichte, die Jesus erzählt hat von der Speisung der 5000?

Die von den 5 Broten und 2 Fischen, von denen 5000 Menschen satt wurden?

Ja, genau die meine ich. Die Freunde von Jesus sagten: Was helfen die paar Brote und die 2 Fische bei so vielen Leuten! Aber als sie anfingen, das bisschen auszuteilen, wurden alle satt.

Hat Jesus da gezaubert?

Ich glaube nicht. In dem Moment, als die Jünger das Essen einfach hergaben und keine Angst mehr hatten, sie kämen zu kurz, war genug da. Frag mich nicht, wie das zugehen konnte. Aber da, wo wir Gott vertrauen, dass er genug für uns hat und uns nicht verbissen um uns sorgen, wird tatsächlich für uns gesorgt.

Das finde ich toll. Ich mache das eigentlich schon immer so. Ich strecke mich der Sonne entgegen und nehme so viele Strahlen und so viel Wärme von ihr auf, wie nur möglich. Und je mehr ich das tu, umso schöner und reifer und wohlschmeckender werde ich – nicht nur für mich, sondern auch für andere. Könnt ihr Menschen das nicht genauso mit der Liebe Gottes machen?

Das hast du wunderschön gesagt, Tommy. Ich als Pfarrer könnte das nicht besser. Wenn wir uns Gott und seiner Liebe entgegenstrecken und uns von ihr bestrahlen lassen, wenn wir dankbar seine Güte empfangen und sie sorglos weitergeben: Wie einfach und schön könnte das Leben sein! Zum Reinbeißen schön, wie du, kleine Tomate!

Amen.

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