Predigt 12 Pfarrer Karle

Predigt von Pfarrer Hans-Georg Karle
Gehalten zu Pfingstmontag am 4. Juni 2001 in Urbach
Biblischer Text: Joh. 4,19-30+39-42

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Pfingstmontag zu Joh. 4,19-30+39-42
Zum besseren Verständnis der Predigt ist die zusätzliche Lektüre von Johannes 4,5-18 sinnvoll!

Die Frau spricht zu ihm: Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist.
Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet, und ihr sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten soll.
Jesus spricht zu ihr: Glaube mir, Frau, es kommt die Zeit, dass ihr weder auf diesem Berge noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet.
Ihr  wisst nicht, was ihr anbetet; wir wissen aber, was wir anbeten; denn das Heil kommt von den Juden.
Aber es kommt die Zeit und ist schon jetzt, in der die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn auch der Vater will solche Anbeter haben.
Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.
Spricht die Frau zu ihm: Ich weiß, dass der Messias kommt, der da Christus heißt. Wenn dieser kommt, wird er uns alles verkündigen.
Jesus spricht zu ihr: Ich bin's, der mit dir redet.
Da ließ die Frau ihren Krug stehen und ging in die Stadt und spricht zu den Leuten:
Kommt, seht einen Menschen, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe, ob er nicht der Christus sei!
Da gingen sie aus der Stadt heraus und kamen zu ihm.
Es glaubten aber an ihn viele der Samariter aus dieser Stadt um der Rede der Frau willen, die bezeugte: Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe.
Als nun die Samariter zu ihm kamen, baten sie ihn, bei ihnen zu bleiben; und er blieb zwei Tage da.
Und noch viel mehr glaubten um seines Wortes willen
und sprachen zu der Frau: Von nun an glauben wir nicht mehr um deiner Rede willen; denn wir haben selber gehört und erkannt: Dieser ist wahrlich der Welt Heiland.

Liebe Gemeinde!

I
„Pfingsten, das liebliche Fest war gekommen...“
Mit diesen Worten lässt Johann Wolfgang von Goethe seine bekannte Dichtung „Reinecke Fuchs“ beginnen.
Pfingsten, das liebliche Fest – als solch liebliches Frühlingsfest ist es in das Bewusstsein der Bevölkerung eingegangen. Hunderttausende sind dieses Jahr wieder über die Pfingsttage verreist und – sofern das Wetter es nur einigermaßen erlaubt – werden auch heute am Pfingstmontag die Wanderer in Scharen unsere schöne Natur, die frisch belaubten Wälder und die blühenden Wiesen durchziehen. Für viele von ihnen ist die Begegnung mit Gottes herrlicher Natur ihr wahrer Gottesdienst.
Und in der Tat: Wenn wir in dieser schönen Frühlingszeit mit wachen Augen beobachten, was um uns herum geschieht; wie es da grünt und blüht, zwitschert und jubiliert, da können wir uns eigentlich nur staunend und dankend unserem Schöpfer im Himmel zuwenden und mit Lob und Preis ihn anbeten, indem wir etwa mit Paul Gerhardt singen:
 „Ich selber kann und mag nicht ruhn,
 des großen Gottes großes Tun
 erweckt mir alle Sinnen;
 ich singe mit, wenn alles singt,
 und lasse, was dem Höchsten klingt,
 aus meinem Herzen rinnen.“
Die Kirche hat seit geraumer Zeit all diesen Empfindungen Rechnung getragen und bietet in der Frühlings- und Sommerzeit immer wieder sogenannte „Gottesdienste im Grünen“ an. Sie will damit auch die Menschen erreichen, die den freien Sonntag für Wanderungen nützen wollen. Ich finde das gut so. Und die große Teilnehmerzahl bei diesen Gottesdiensten zeigt an, dass dieses Angebot dankbar angenommen wird.
Und dennoch gibt es auch ernstzunehmende Stimmen, die fragen: Ist das auch ein richtiger Gottesdienst? Wird da nicht unter Umständen die Natur als unser wahrer Gott angebetet? Suchen da nicht manche Gott in den Dingen unserer Welt? Vielleicht wäre es doch besser, so sagen diese Leute, dass man den Gottesdienst an seinem althergebrachten Ort belässt: In der Kirche, im Gotteshaus; damit wir nicht der Gefahr erliegen, Gott mit der Natur zu verwechseln und den Schöpfer der Schöpfung gleichzusetzen, die doch vergänglich ist.
Wo geschieht wahrer Gottesdienst? Was ist wahrer Gottesdienst?
II
Das ist eine Frage, die auch in unserem Predigttext aufgeworfen wird. Die Samariterin, die in so eigenartiger Weise zu spüren bekommt, wer dieser Jesus ist, stellt ihm diese Frage, nachdem sie erkannt hat, dass er prophetische Gaben hat. Sie sagt: „Unsere Väter haben auf diesem Berg angebetet, und ihr sagt, zu Jerusalem sei die Stätte, da man anbeten solle.“
Ob sie wohl mit diesem religiösen Thema das Gespräch mit Jesus auf andere, unverfänglichere und weniger peinliche Bahnen lenken wollte? Jesus hatte ja – wir hörten es in der Schriftlesung – ihren wahren Lebenswandel, ihren Umgang  mit 6 verschiedenen Männern aufgedeckt. Vielleicht will sie nun Jesus von diesem ihr unangenehmen Gesprächsthema ablenken, indem sie eine ganz allgemeine – zwischen Juden und Samaritern strittige religiöse Frage aufwirft.
Jesus geht darauf ein. Er hatte vorher lediglich festgestellt, wie es in ihrem Leben aussieht, mit wie vielen Männern sie es schon zu tun hatte. Er verurteilt sie nicht. Er klagt sie nicht an. Er überlässt diese Frage ihrem Gewissen. Und so lässt er sich nun auf das religiöse Thema ein.
Es geht um die alte Streitfrage zwischen Juden und Samaritern: Wo ist der rechte Gottesdienstort? Wo ist man Gott näher: Im Tempel der Juden in Jerusalem oder in der freien Natur, auf dem heiligen berg Garizim in Samarien?
Die Juden wollten ihren Gottesdienst binden an den Tempel Salomos in Jerusalem. Nur dort war für sie letztlich echter, reiner Gottesdienst möglich, weil dort das Allerheiligste war.
Die Samariter dagegen waren der Auffassung, dass sie Gott auch in ihrer Gegend, in ihrer Landschaft begegnen könnten und feierten daher ihre Gottesdienste auf ihrem heiligen Berg, den Garizim.
Die Antwort Jesu auf die Frage der Samariterin wird beiden Anschauungen nicht gerecht. Einerseits sagt er zu der Frau als Vertreterin der Samariter: „Ihr wisset nicht, was ihr anbetet; ...denn das Heil kommt von den Juden“ – also eine klare Absage an die Ansprüche der Samariter. Jesus ist Jude. Also kommt das Heil von den Juden und nicht von den Samaritern.
Andererseits erteilt er aber auch der jüdischen Auffassung, die den Gottesdienst an den Tempel in Jerusalem binden will, eine Abfuhr, wenn er zu der Frau sagt: „Frau, glaube mir, es kommt die Zeit, dass ihr weder auf diesem Berge noch zu Jerusalem werdet den Vater anbeten.“
Für Jesus ist also Anbetung und Gottesdienst unabhängig von bestimmten heiligen Orten: Unabhängig vom Tempel zu Jerusalem, aber auch unabhängig vom heiligen Berg Garizim. Der Gottesdienst ist nicht an einen bestimmten Bau, etwa einer Kirche, aber auch nicht an die Schönheit der Natur gebunden.
Wo geschieht dann rechter Gottesdienst?
Jesu Antwort zeigt uns, dass es dabei gar nicht um das Wo, um die Frage des Ortes geht, sondern vielmehr um das Wie. Er sagt zu der Samariterin: „Es kommt die Zeit und ist schon jetzt, dass die wahrhaftigen Anbeter werden den Vater anbeten im Geist und in der Wahrheit; denn der Vater will haben, die ihn also anbeten.“
Wahrer Gottesdienst geschieht also dort, wo Menschen im Geist und in der Wahrheit anbeten. Gott will solche Menschen haben, er sucht sie geradezu, wie die genauere Übersetzung heißen müsste.
Das heißt zunächst einmal nichts anderes, als dass wahrer Gottesdienst zuerst von Gott ausgeht. Er sucht Menschen, die ihn anbeten. Er kommt zu den Menschen an den verschiedensten Orten und in den verschiedensten Situationen. Ja, er kommt sogar zu den unmöglichsten Menschen, zu denen sonst kein Anbeter gehen würde.
Gott tut es. Er tut es in Jesus Christus.
Jesus setzt sich an den Brunnen und lässt sich von dieser Frau aus Samarien, die man beim besten Willen nicht als Dame bezeichnen könnte, seinen Durst stillen. Und er kommt ins Gespräch mit ihr. Schrittweise muss die Frau erkennen, wen sie vor sich hat. Zunächst erkennt sie bloß, dass er ein Jude ist. Dann fragt sie verwundert: „Bist du mehr als unser Vater Jakob?“ Und schließlich muss sie zugeben: „Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist.“ Bis dann zuletzt Jesus selber sich offenbart. Als die Frau zu ihm sagt: „Ich weiß, dass der Messias kommt, der da Christus heißt. Wenn derselbe kommen wird, so wird er’s uns alles verkündigen“, sagt Jesus zu ihr: „Ich bin’s, der mit dir redet.“
Gott kommt durch Jesus zu uns Menschen. Er offenbart sich uns in der Person seines Sohnes. Und durch ihn und seine Heilstat, durch Jesu Tod am Kreuz, versöhnt er uns Menschen mit Gott.
Das ist Gottes Dienst an uns. Dieser Dienst Gottes, dieser wahre Gottes – Dienst, geht allem menschlichen Gottesdienst voraus. Dieser Gottesdienst ist an keinen Ort gebunden. Er geschieht, wie in unserer Erzählung etwa, am Jakobsbrunnen in Samarien; oder am See Genezareth, wo Männer wie Jakobus und Johannes gerade beim Fischen sind; oder auf dem Weg von Jerusalem nach Damaskus, wo der Christusverfolger Saulus von dem überwältigt wird, den er verfolgt.
Und dieser Dienst Gottes geschieht immer wieder, auch heute noch, wo Menschen überwältigt werden vom Geist Christi, von diesem wahren Geist, der seit Pfingsten weht wo, wann und wie immer er will. Dieser Heilige Geist ist nicht fassbar, verfügbar. Wir können ihn nicht lenken und befehlen. Wir können ihn nicht binden an einen bestimmten Ort. Er kann die armseligsten Menschen erfassen und die scheinbar Rechtschaffensten gehen leer aus.
„Gott ist Geist“, sagt Jesus, „und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“ Doch dieser Geist und diese Wahrheit kommen ja gerade von Gott. Es muss also Gottes Dienst an uns Menschen vorausgehen, er muss uns mit seinem Geist und seiner Wahrheit erfüllen, bevor wir Gott erst richtig dienen können, d.h. im Geist und in der Wahrheit anbeten.
III
Und dieser Dienst Gottes an uns Menschen geht voraus, liebe Gemeinde! Immer wieder! Nicht nur damals, als Gott selber in Jesus Christus Mensch geworden ist und auf Erden wirkte. Durch den Heiligen Geist dient Gott uns auch heute noch. Immer wieder werden Menschen von diesen Geist erfasst. Und was das Auffallendste ist: All jene, die von ihm erfasst werden, können das einfach nicht für sich behalten. Sie müssen es weitersagen an die Leute, die um sie herum sind. Immer wieder werden auf diese Weise Menschen unwillkürlich zu Zeugen und Boten Gottes. Aus Gottes Dienst an uns Menschen wird plötzlich menschlicher Dienst für Gott.
Die sündige Samariterin macht uns das vor. Ohne überhaupt voll begriffen zu haben, um was es geht, - ja sogar noch ziemlich ungläubig -, wird sie zur ersten Missionarin Samaria: „Sie ließ ihren Krug stehen“, heißt es dort, „und ging hin in die Stadt und spricht zu den Leuten: Kommt, seht einen Menschen, der mir gesagt hat alles, was ich getan habe, ob er nicht der Christus sei!“
Liebe Gemeinde! Nicht nur Schriftgelehrte, nicht nur theologisch gebildete Menschen, nicht nur Heilige und Fromme können zu Zeugen und Dienern Gottes werden. Gott kann auch die unvollkommensten Menschen zu freiwilligen oder unfreiwilligen Zeigen seiner Wahrheit machen.
Da ist diese Frau aus Samarien, sicher verachtet in der ganzen Gegend wegen ihres Umgangs mit 6 verschiedenen Männern: Sie wird zur Zeugen Jesu Christi! Ihre Worte bewirken, dass viele Samariter aus der Stadt hinausgehen zu Jesus und zum Glauben kommen! Ihre Worte, das unvollkommene Gerede einer sündigen Frau, führt Menschen auf den rechten Weg!
So können auch wir hoffen, dass unsere bruchstückhafte Rede, dass ein paar Worte, die wir von diesem Gottesdienst hinaustragen in unsere Familie, an unseren Arbeitsplatz, in unsere Nachbarschaft, vielleicht Wurzeln schlagen und andere Menschen dorthin führen, wo Gott sie haben will: nämlich in die Anbetung in Geist und Wahrheit!
Ist  es nicht manchmal ein Mangel an Glauben, an Vertrauen zum Heiligen Geist, wenn wir unseren – sicher schwachen Worten so wenig zutrauen? Gottes Dienst an uns, sein Wort, sein Zuspruch will weitergeleitet werden. Er dient nicht bloß der Erbauung unserer privaten Seele. Er drängt hinaus zu den anderen Menschen. Und was besonders wichtig ist: Wenn wir diesen Dienst Gottes an uns Menschen weiterleiten und damit zu Dienern Gottes werden, so darf sein Wort nicht mit unseren Worten gleichgesetzt werden. Diese unsere Worte dürfen immer wieder zu dem hinweisen, von dem sie herkommen: zu Jesus Christus! – So wie die Worte der Samariterin, von denen die Leute zu Sychar sagen: „Wir glauben hinfort nicht um deiner Rede willen; wir haben selber erkannt, dass dieser ist wahrlich der Welt Heiland.“ Ihre Worte hatten lediglich die Aufgabe, zu dem Wort hinzuweisen, das das Wahre ist: Jesus Christus!
IV
Kommen wir zu unserer Ausgangsfrage zurück: „Wo geschieht wahrer Gottesdienst: in der Kirche oder im Grünen? In Jerusalem oder auf dem Berg Garizim?
Ich glaube, unser Predigttext hat uns deutlich gemacht, dass diese Frage eigentlich belanglos ist. Denn Gottesdienst ist ja in erster Linie keine von Menschen inszenierte Veranstaltung, sondern ein Akt, der zuerst von Gott ausgeht durch den Heiligen Geist. Er, der Heilige Geist, erfasst Menschen wann und wo er will. Wir Menschen können lediglich antworten auf diesen Dienst Gottes an uns. Und das geschieht dadurch, dass wir seinen Sohn Jesus Christus bezeugen: Vornehmlich im Sonntagsgottesdienst in der Kirche. Aber natürlich nicht nur da. Ebenso kann es im Grünen geschehen, oder in der Fabrik, oder im Gespräch mit Freunden. Überall dort, wo Jesus Christus zur Sprache kommt – in Wort oder Tat – und daraus Anbetung in Geist und Wahrheit erfolgt, da kommt wahrer Gottesdienst zum Ziel.
Lasst uns deshalb, liebe Gemeinde, nicht müde werden, von dieser Wahrheit, die uns trägt; von dieser Hoffnung, aus der wir leben, weiterzuerzählen. Und wenn es auch nur mit bruchstückhaften und stotternden Worten oder bloß mit schüchternen Taten der Liebe in Jesu Namen geschieht.
Was wir dazu brauchen, ist Gottes Geist, der Heilige Geist von Pfingsten, der uns in alle Wahrheit führt. Um ihn wollen wir immer wieder – nicht nur an Pfingsten – von Herzen bitten:
  „O komm, du Geist der Wahrheit,
  und kehre bei uns ein,
  verbreite Licht und Klarheit,
  verbanne trug und Schein.
  Gieß aus dein heilig Feuer,
  rühr Herz und Lippen an,
  dass jeglicher getreuer
  den Herrn bekennen kann."
Amen.
 
 

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