Predigt 11 Pfarrer Karle

Predigt von Pfarrer Hans-Georg Karle
Gehalten zu Pfingsten am 3. Juni 2001 in Urbach
Biblischer Text: Hesekiel 36,22-28

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Predigt zu Pfingsten über Hesekiel 36,22-28
Der Predigttext für das Pfingstfest steht im Buch des Propheten Hesekiel, Kapitel 36, die Verse 22-28 :
Darum sollst du zum Hause Israel sagen: So spricht Gott der HERR: Ich tue es nicht um euretwillen, ihr vom Hause Israel, sondern  um meines heiligen Namens willen, den ihr entheiligt habt unter den Heiden, wohin ihr auch gekommen seid.
Denn ich will meinen großen Namen, der vor den Heiden entheiligt ist, den ihr unter ihnen entheiligt habt, wieder heilig machen. Und die Heiden sollen erfahren, dass ich der HERR bin, spricht Gott der HERR, wenn ich vor ihren Augen an euch zeige, dass ich heilig bin.
Denn ich will euch aus den Heiden herausholen und euch aus allen Ländern sammeln und wieder in euer Land bringen,
und ich will reines Wasser über euch sprengen, dass ihr rein werdet; von all eurer Unreinheit und von allen euren Götzen will ich euch reinigen.
Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben.
Ich will meinen Geist in euch geben und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln und meine Rechte halten und danach tun.
Und ihr sollt wohnen im Lande, das ich euren Vätern gegeben habe, und sollt mein Volk sein, und ich will euer Gott sein.

Liebe Gemeinde!
I
Pfingsten – das ist der Geburtstag der Kirche. An Pfingsten – so hörten wir es in der Schriftlesung – gingen die Jünger zum ersten Mal hinaus und fingen an öffentlich zu predigen. Getrieben vom Heiligen Geist überwanden sie alle Scheu. Und derselbe Heilige Geist bewirkte es, dass der Funke übersprang und sie von allen verstanden wurden, die dort in Jerusalem aus aller Herren Länder versammelt waren. Petrus hielt die erste, uns überlieferte christliche Predigt (wir hörten Ausschnitte daraus in der Schriftlesung). Und auf Grund dieser Predigt kamen die ersten Leute zum Glauben und ließen sich taufen. Und es waren nicht nur ein Paar. Lukas spricht in seiner Apostelgeschichte von 3000 Menschen, „die hinzugetan wurden zu der Gemeinde“. So hat es begonnen mit der Kirche.
Heute, an Pfingsten, feiern wir das wieder, was vor 1970 Jahren geschehen ist. Und wie sieht das heute aus, am Geburtstag der Kirche, an Pfingsten 2001?
Die Kirche ist in die Jahre gekommen – alt und schwach erscheint sie vielen, und unbeweglich. Und ihren Geburtstag feiern nur noch wenige mit.
Vielleicht ist unsere heutige Situation ähnlich wie die Lage zur Zeit des Propheten Hesekiel, als er den Auftrag bekam, die Predigt zu halten, die uns heute als Predigttext gegeben ist. Eine christliche Pfingstpredigt war sie noch nicht. Über Ort und Zeit und Zuhörer dieser prophetischen Rede sind uns im Buch Hesekiel keine näheren Umstände überliefert. Wir können nur sagen: Sie ist noch einige hundert Jahre älter als die Apostelgeschichte mit ihrem Bericht vom ersten christlichen Pfingsten und mit der Pfingstpredigt des Petrus. Sie wurde an die Israeliten gehalten, die in ihrem Glauben müde geworden waren und sich fern der Heimat in der babylonischen Verbannung von Gott verlassen fühlten. Israel hat mit der Vertreibung aus der nationalen und religiösen Heimat einen umfassenden Verlust an Geborgenheit erlitten. Die „schönen Gottesdienste des Herrn“ konnten nicht mehr geschaut, der Tempel in Jerusalem nicht mehr betrachtet werden (Ps. 27,4). Bei all dem schweren Geschehen lässt aber der Prophet keinen Zweifel: Gottes Volk empfängt das, was seine Taten wert sind.
II
Ist das heute bei unserer Kirche anders? Empfängt sie auch, was ihre  Taten wert sind? Wie viele Menschen kehren der Kirche den Rücken, weil sie sie für überflüssig halten, weil in ihr so wenig lebt, weil von ihr nichts mehr ausgeht, weil sie anscheinend nichts zu sagen hat.
Kein Wunder, dass nach Abhilfe gerufen wird. Die einen fordern den Auszug aus der Kirche und suchen die „richtige“ Kirche in einer kleineren und überschaubaren Gemeinschaft von „richtigen“ Glaubenden.
Andere rufen zu Aktionen auf, zu neuen missionarischen Arbeitsmodellen, zu Evangelisationsprogrammen und neuen Gottesdienstformen, zu Werbefeldzügen und zu Strukturveränderungen, die unsere Volkskirche wieder beleben sollen. Wohl selten hat sich die Kirche so um eine Erneuerung bemüht wie in den letzten 50 Jahren. Und all diese Bemühungen sind ehrenwert, verständlich und auch zu begrüßen. Nur dürfen wir dabei zwei Dinge nicht vergessen:
Da ist einmal die Frage nach der Ursache des Un-Heils und zum anderen die Überlegung, worauf sich Hoffnung auf Besserung (wenn es eine solche gibt) gründen kann.
III
Die Antwort auf die erste Frage fällt durch Hesekiel so eindeutig aus, dass auch wir in der Kirche heute damit aufhören sollten, uns gegenseitig Schuld zuzuweisen. Die Kirche ist nicht deshalb „krank“, weil einige Menschen dieses oder jenes in der Kirche sagen, schreiben, tun oder lassen, was andere nicht gut finden. Mein eigenes Herz aus Stein trägt zur Entheiligung Gottes in der Welt bei. Da ist so viel Kälte und Lieblosigkeit in mir, so viel „Herzenshärtigkeit“, dass ich nicht erst bei anderen nach den Gründen für eine kranke Kirche suchen muss. Kirche – das ist ja nicht eine fremde Organisation, ein Dienstleistungsunternehmen, dessen Dienste ich bei Bedarf in Anspruch nehme. Dazu habe ich sie vielleicht degradiert durch meine Haltung ihr gegenüber in dem Moment, wo ich sie zu einem Gegenüber mache, wo ich nicht mehr denke: Kirche, das bin ich! Ich bin ein Teil dieser Gemeinschaft und diese Gemeinschaft braucht mich, so wie ich sie brauche. Leib Christi hat Paulus sie genannt, die Kirche: Ein Leib, deren Glieder wir alle sind und der nur so lebendig und funktionsfähig ist, als wir ihn, Christus, als Haupt dieses Leibes gelten lassen und wir als Glieder uns ihm zur Verfügung stellen und miteinander und füreinander da sind.
Nun ist das aber weitgehend nicht so und darunter leidet die Kirche und macht sie so unglaubwürdig vor der Welt. Sie erscheint nach außen hin als eine in vielen Bereichen erstarrte Organisation, die zwar eine ehrwürdige Tradition besitzt und vielleicht auch eine gewisse, nicht immer rühmliche geschichtliche Bedeutung. Jetzt aber ist sie für viele irrelevant geworden, weil nur noch Apparat, nur noch Institution ohne pulsierende Lebendigkeit, ohne den Herzschlag der Begeisterung, der etwas in Bewegung setzt und vor allem auch noch unter sich zerstritten und geteilt in vielerlei Konfessionen, Gruppen und Grüppchen, die alle für sich beanspruchen, sie wären die wahre Kirche.
IV
Gibt es noch Hoffnung auf Änderung? Was können wir tun? Was müssen wir in Bewegung setzen? Wie kann die Kirche gerettet werden?
Die Antwort unseres Predigttextes ist eindeutig: Wir können nichts tun. Wir können die Kirche nicht retten. Unsere noch so gut gemeinten Anstrengungen retten weder uns selbst, noch die Kirche und schon gar nicht die Welt. Pfingsten ist das Ende aller Appelle an die Christenheit, sich selbst zu erneuern.
Die einzige Hoffnung auf Änderung liegt in dem fünfmal wiederholten „Ich will“ Gottes:
Ich will meinen unter euch entheiligten Namen wieder heilig machen.
Ich will euch aus den Heiden herausholen.
Ich will reines Wasser, das unter die Haut geht zum Abwaschen der Sünden über euch sprengen.
Ich will ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben.
Ich will neue Menschen aus euch machen, die Freude am Hören und Tun haben.
Die einzige Hoffnung auf Heilung des Schadens liegt bei dem „Ich will“ Gottes. Die Begründung mag uns beschämen. Gott will die Kirche heilen, damit die „Heiden“, die Außenstehenden, den lebendigen Gott nicht länger mit einer toten Kirche verwechseln.
Nicht um unsertwillen, sondern um seiner selbst willen wird Gott initiativ. Das kränkt unser persönliches und das allgemein menschliche Geltungsbedürfnis. Das zerstört alle Klischees von einem Gott, der immer für uns da sein muss. Das widersteht allen unseren kindlichen Wünschen nach einem Gott, der sich immer nach uns richtet, ja nach uns richten muss. Nein: Gott braucht uns nicht. Aber wir brauchen Gott. Und deshalb ist es wichtig, dass Gott für seine Ehre sorgt, wenn wir es schon nicht können.
Gottes Handeln geschieht auch nicht um des Volkes, um der Kirche, sondern um der Heiden willen an seinem Volk. Gottes handeln zielt auf die Welt: „Die Heiden sollen erfahren, dass ich der Herr bin, spricht Gott der Herr, wenn ich vor ihren Augen an euch zeige, dass ich heilig bin.“ Gott verleiht seinen Geist, damit die Kirche Ausstrahlungskraft bekommt, die sie von sich aus nicht hat.
Und wie geschieht das? Nicht indem die Kirche reformiert, die Institution erneuert, die Strukturen geändert oder die Verwaltung gestrafft wird. Neue Ausstrahlungskraft bekommt die Kirche dort, wo ihre Glieder sich einer Herztransplantation unterziehen lassen; dort, wo dieses „Ich will“ Gottes an uns wahr wird: „Ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben.“
Menschen, die mit medizinischen Mittel ein Herz erfolgreich transplantiert bekommen, erhalten ihr Leben neu geschenkt. Eine Frau erzählt davon, dass sie mit 48 Jahren einen zweiten Geburtstag erlebt hat. Sie lernt, neu sich am Leben zu freuen.
Ein neues Herz, sagt Gott, mehr noch: ein Herz aus Fleisch statt aus Stein und einen neuen Geist sollen wir in den Leib bekommen. Und diese Operation ist von Gott aus nicht mit Risiken verbunden. Das einzige Risiko sind wir selber, wenn wir dieses neue, fleischerne Herz, das Gott uns geben will, abstoßen, wenn wir ihm keinen Raum geben wollen in unserem Leben. Dabei ist dieses Herz aus Fleisch, das Gott uns geben will, warmherzig und damit barmherzig. Es ist pulsierend und voller Leben und geht mit dem Leben im eigenen Leib und außerhalb liebevoll um. Es kann vor Freude hüpfen, wie Paul Gerhardt singt: „mein Herze geht in Sprüngen und kann nicht traurig sein...“ und es drängt auf Gemeinschaft mit anderen, wie Zinzendorf dichtet: „Herz und Herz vereint zusammen sucht in Gottes Herzen Ruh.“
„Ich will...“ sagt Gott in unserem Predigttext gleich fünfmal. Er ist – so las ich in einem Kommentar zu unserer Stelle – unverbesserlich gnädig, unbelehrbar optimistisch. Genau an dem Volk, das den Gottesnamen entheiligt, will Gott seinen Namen heiligen. Es ist nicht das erste Mal und wird wohl nicht das letzte Mal sein, dass Gott seine Heilsinitiative startet. Er lässt sich nicht beirren, immer wieder neu anzufangen. Gott muss mehrmals ansetzen mit seinem „Ich will“. Heilungsprozesse sind, allen spektakulären charismatischen Erfolgsmeldungen zum Trotz, oft langwierige und heikle Prozesse. Merken wir es nicht an uns selber? Wie gerne würden wir unser Herz erneuern lassen – und manchmal geschieht es auch. Aber dann fallen wir wieder zurück, verhärten uns und schließen uns ab. „Es ist das Herz ein trotzig und verzagt Ding“, stellt der Prophet Jeremia fest, „wer kann es ergründen?“ Und er antwortet im Namen Gottes: „Ich, der Herr, kann das Herz ergründen...“
„Ich will“, sagt dieser Gott. Und wo dieses „Ich will“ wahr wird, da geschieht Pfingsten. Die Jünger erfuhren damals, dass Christus sie ergreift wie ein unaufhaltsamer Wirbelsturm, der alles Versagen wegbläst und sie können mutig, ohne Scheu und fröhlich ihren Glauben bekennen. Paulus fasst dieses mächtige Eingreifen in seinen Auswirkungen in dem Satz zusammen: „ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ (2. Kor. 5,17)
V
Gibt es das nicht immer wieder, dass ein Mensch neu wird und völlig verwandelt durch Gottes Geist? Wir nehmen das nur nicht so wahr, weil wir oft zu sehr mit uns selbst beschäftigt sind. Aber das gibt es immer wieder, dass Gott ein steinernes Herz erweicht und ein Mensch dadurch frei und glücklich wird.
Und wenn unsere Kirche hier oft alt und krank erscheint, so gibt es doch in vielen Gegenden dieser Erde erstaunliche Aufbrüche und neue lebendige Kirchen entstehen und lassen die Umwelt erstaunen über die Kraft dieses Gottes. Und es ist ja auch nicht so, dass es hier bei uns diese Aufbrüche nicht auch immer wieder gibt: Wie viel Ermutigendes kann man da z. B. bei Glaubenskonferenzen, Christustagen oder Kirchentagen erleben!
Denn wo der Geist Gottes Menschen erfasst, da macht er sie zu Leuten, die fähig sind, in seinen Geboten zu wandeln und seine Rechte zu halten und danach tun.
„Seht nur! Wie haben sie sich so lieb!“ wurde damals zur Zeit der ersten Christenheit erstaunt von der heidnischen Umwelt konstatiert. Gott will auch heute solche Menschen aus uns machen, die seine Gebote halten. „Ich will!“, sagt er.
Wollen wir auch? Gott kennt sein Volk. Es wird wohl noch manche Pfingsten geben müssen. Aber er könnte bei uns beginnen, wenn wir ihn ernstlich bitten:
 „Komm, o komm, du Geist des Lebens,
 wahrer Gott von Ewigkeit;
 deine Kraft sei nicht vergebens,
 sie erfüll uns jederzeit,
 so wird Geist und Licht und Schein
 in dem dunklen Herzen sein.“  Amen.
 
 

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