Predigt von Pfarrer Hans-Georg
Karle
Gehalten am 22.04.2001 in Urbach
Biblischer Text: Matth.10,16-20
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Der Predigttext für den heutigen 1. Sonntag nach Ostern, dem Sonntag
Quasimodogeniti, steht im Matthäusevangelium, Kapitel 10, die Verse
16-20 (S. 203f.):
Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Darum
seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben.
Hütet euch aber vor den Menschen; denn sie werden euch den
Gerichten überantworten und werden euch geißeln in ihren Synagogen.
Und man wird euch vor Statthalter und Könige führen um meinetwillen,
ihnen und den Heiden zum Zeugnis.
Wenn sie euch nun überantworten werden, so sorgt nicht, wie
oder was ihr reden sollt; denn es soll euch zu der Stunde gegeben werden,
was ihr reden sollt. Denn nicht ihr seid es, die da reden, sondern
eures Vaters Geist ist es, der durch euch redet.
Liebe Gemeinde!
„Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe...“ Das
ist ein harter Text – so unmittelbar nach der Freude des Osterfestes –
wahrlich ein harter Brocken! Aber wir müssen ihm standhalten, da hilft
nichts. Bei einer Begegnung mit einem Text wie diesem, zeigt es sich, ob
wir es ernst meinen mit unserem Christentum oder ob wir es nur als eine
fromme Auszierung des Sonntags betrachten; ob für uns Ostern nur ein
fröhliches Frühlingsfest gewesen ist oder ob Jesu Sieg über
den Tod nicht auch für uns Anlass ist, den Kampf gegen die Mächte
des Todes aufzunehmen. – Ein ungleicher Kampf, wie es scheint und wie Jesus
es hier andeutet:
„Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe...“ –
ist das nicht der reine Selbstmord – wehrlos und unbewaffnet mitten hinein
in die Welt der Gewalt? Jesus macht seinen Jüngern nichts vor. Ein
Leben in seiner Nachfolge ist lebensgefährlich und es verschont nicht
vor Verfolgung: „Hütet euch aber vor den Menschen; denn sie werde
euch den Gerichten überantworten und werden euch geißeln in
ihren Synagogen“, sagt Jesus weiter.
Es kann sein, dass wir uns jetzt erleichtert zurücklehnen: „Ach
so! Das betrifft uns ja gar nicht. Das gilt bloß für die Jünger
damals und die ersten Christen, die um ihres Glaubens willen verfolgt wurden.
Heute haben wir eine ganz andere Situation!“
Ja, das stimmt. Aber bevor wir uns ganz entspannen und abschalten,
weil wir denken, diese Worte Jesu beträfen uns heute nicht mehr: Haben
wir uns schon einmal überlegt, warum das so ist? Warum sich eigentlich
niemand aufregt über die Christen hierzulande und die Kirche eine
wohlgelittene Institution ist? Gibt es denn keine Wölfe mehr? – Oder
liegt es daran, dass die Christen nicht mehr Schafe sind, sondern vielmehr
mit den Wölfen heulen?
Sicher: Jesu Worte sind nicht so zu verstehen, dass Christen die Verfolgung
und das Martyrium suchen sollen um jeden Preis. Sie sollen vielmehr klug
sein wie die Schlangen, sie sollen sich auch verteidigen – aber von Anpassung
steht hier nichts.
Dass sich heute so gut wie niemand aufregt über die Christen liegt
wohl daran, dass sie gar nicht als solche erkenntlich sind in einer Welt
voller Wölfe im Schafspelz; dass die Kirche ihre Botschaft so ausrichtet,
dass sie nicht wehtut und möglichst niemanden auf den Schlips tritt.
Das Ergebnis davon ist, dass die Mehrheit unserer Zeitgenossen sich dem
Leben und den Angeboten der Kirche gegenüber in entwaffnender, ja
erstickender Gleichgültigkeit verhält.
Es ist doch so: Uns als christliche Gemeinde hier in Urbach begegnet
keine Feindschaft, sondern Gleichgültigkeit, nicht Kampfansage, sondern
stille Auswanderung; nicht Waffe, sondern Watte: Watte in den Ohren, wattierte,
gepolsterte Wände, die kein Echo zurückwerfen, sondern auch das
engagierteste Bekenntnis dämpfen und schlucken. Und die Tapete dieser
Wände hat christliches Muster, christliches Dekor.
Eine seit Jahren schleichende Entwicklung mag dies verdeutlichen: Ein
Verein – die meisten seiner Mitglieder sind auch Kirchenmitglieder – druckt
sein Festprogramm. Am Sonntag beginnt das Programm um 9.30 Uhr mit dem
Frühschoppen. Vor einigen Jahren kam es noch vor, dass jemand merkte,
dass da ja Gottesdienstzeit ist und der Vereinsvorsitzende etwas verlegen
beim Pfarrer anrief und fragte: Können Sie den Gottesdienst nicht
vorverlegen? Wir haben gar nicht daran gedacht, dass da ja Gottes dienst
ist!“ Heute berührt das niemanden mehr.
Ich möchte mit diesem Beispiel keineswegs unsere Vereine anklagen,
sondern uns fragen: Warum ist das so, dass die zentrale, wichtigste Veranstaltung
für gut 6500 getaufte Christen in Urbach, davon 4200 Evangelische,
nämlich der sonntägliche Gottesdienst, von gut 90% nicht mehr
wahrgenommen wird?
Vielleicht liegt es daran, dass das, was da gesagt, gesungen und gebetet
wird, niemand mehr bewegt, aufwühlt, aufregt im wahrsten Sinne des
Wortes und dass die, die da sonntags aus der Kirche herauskommen, die gleichen
bleiben wie sie vorher hineingegangen sind. Schuld daran ist gewiss nicht
das, was wir zu verkündigen haben: das Wort der Bibel. Schuld daran
ist womöglich die Art und Weise, wie wir das tun: Weil wir Pfarrer
womöglich alles in Watte verpacken und in gut verdaulichen kleinen
Happen verabreichen, schmackhaft aber nicht nahrhaft, appetitlich aber
nicht zum kauen. Wir wollen niemanden überfordern und deshalb verabreichen
wir lieber Diät. Ich muss das hier auch einmal ganz selbstkritisch
mir gegenüber sagen: Die Klugheit der Schlangen, die Jesus hier fordert,
münze ich allzugerne in behutsame Vorsicht um.
Müsste das nicht deutlicher gesagt werden auf unseren Kanzeln,
was z.B. Karfreitag und Ostern bedeutet?: Der Tod ist besiegt. Die Sünde
überwunden. Jesus hat sie auf sich genommen und ist dafür gestorben.
Dass er an Ostern auferstanden ist, ist Zeichen dafür, dass Gott das
Leben will. Dass er will, dass wir uns ganz und gar auf Jesus verlassen
– und nicht auf uns selbst, auf die Wissenschaft, auf die Medizin, auf
die Technik oder auf sonst noch was, wovon wir heutzutage so große
Stücke halten. Das alles kann uns hier zwar manches erleichtern. Aber
mit dem Tod ist das alles aus. Leben, wahres, sinnvolles, erfülltes,
glückliches, unbegrenztes, ewiges Leben finden wir nur in Jesus. Ihm
folgen, seinen Willen tun, das heißt Leben und nicht den Dingen dieser
Welt nachjagen!
„Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe“. Heißt
das nicht jetzt in dieser österlichen Zeit, dass wir völlig ungeschützt
allen, die dem Tod in die Hände arbeiten, den Sieg des Lebens zu verkündigen
haben?
„Leute“, müssen wir laut und vernehmlich rufen, „es gibt ein Danach!
Mit dem Tod ist nicht alles aus! Im Gegenteil: da fängt es erst richtig
an. Und da bekommt alles, was wir jetzt und hier tun oder lassen erst seinen
Sinn. Wenn wir in diesem Leben an Jesus Christus glauben, dann werden wir
leben in Ewigkeit, dann wird uns nichts scheiden von der Liebe Gottes.
- Wenn wir aber in diesem Leben an Jesus Christus vorbeileben, ohne ihn
oder gar gegen ihn, sein Wort missachten und seinen Willen mit Füßen
treten, dann werden wir in unseren Sünden bleiben und im Gericht nicht
bestehen. Dann werden wir ewig getrennt bleiben von Gott, wir werden unser
Lebensziel und unsere Bestimmung verfehlen. Ihr müsst euch also entscheiden!
Und zwar jetzt, denn irgendwann einmal kann es zu spät sein!"
Ostern, so werden wir dann sagen, Ostern das bedeutet: Gott will das
Leben; will, dass wir leben hier auf unserer Erde und in Ewigkeit. Er will
auch, dass alle Kinder leben, die empfangen werden. Deshalb ist es durch
keinerlei Gründe zu rechtfertigen, dass in einer Wohlstandsgesellschaft
wie unserer, noch ungeborene Kinder im Mutterleib getötet werden.
Ohne Falsch wie die Tauben müssen wir das sagen – also nicht mit erhobenen
Zeigefingern auf jene Mütter zeigen, die meinen, abtreiben zu müssen,
sondern ihnen deutlich machen: Kommt, Ihr und Eure Kinder habt Platz bei
uns! Bei uns gibt es noch Wohnraum in unseren großen Häusern
und leeren Einliegerwohnungen und Kinder haben wir gern. Sie stören
uns nicht, denn bei uns gibt es noch andere Werte als Wohlstand und Karriere.
Sie machen das Leben nicht einfacher, aber sie bereichern es.
Und klug wie die Schlangen werden wir argumentieren z.B. gegenüber
den Wölfen der Rüstungsindustrie und denen, die meinen, todbringende
Waffen in alle Welt exportieren zu müssen unter dem Vorwand, dass
das Arbeitsplätze bei uns schafft oder erhält. Wir werden ihnen
dann sagen, dass mehr Kinder, die bei uns geboren werden, viel bessere
Arbeitsplatzgarantien sind als ihr lebensvernichtendes Material. Denn Kinder
brauchen Nahrung, Kleidung, Lehrer, Wohnraum, Spielsachen, kurzum: genug
, um die Wirtschaft in Gang zu halten.
An Ostern glauben heißt dann auch, klar Stellung zu beziehen
gegen die Mehrheitsmeinung, die eine aktive Sterbehilfe befürwortet.
Weil Gott der Herr ist über Leben und Tod, dürfen wir uns nicht
selber zum Herren über fremdes oder eigenes Leben machen und bestimmen,
ob es lebenswert oder – unwert ist. Weil wir an ein Leben glauben, das
nach dem Tod folgt, werden wir Menschen auf der letzten Wegstrecke dorthin
begleiten können mit einem starken Trost und mit liebevoller Zuwendung.
Wir werden todkrankes Leben gewiss nicht unnötig verlängern und
wir werden das Sterben erleichtern, wo wir nur können, aber wir werden
uns niemals zu Handlangern des Todes machen, als ob nur ein gesundes Leben
hier, möglicherweise schon vor der Geburt gentechnisch kontrolliert
und ausgewählt, lebenswert wäre!
Ich denke, wenn wir Christen wirklich mehr ernst machen würden
mit unserem Glauben, ihn konsequenter verkünden und vorleben würden,
dann gäbe es doch mache Aufregung mehr und wir würden hier und
da gewaltig anecken, wenn nicht sogar in ernsthafte Konflikte geraten.
Nicht, dass wir diese suchen sollten – „Seid klug wie die Schlangen“, sagt
Jesus „und ohne Falsch wie die Tauben“ – aber Christen, die überhaupt
nicht mehr auffallen und überall wohlgelitten sind – da legt sich
zumindest der Verdacht nahe, dass sie nicht mehr ganz bei der Sache sind,
nämlich bei der Sache ihres Herrn.
Wir sind heute bei uns in unserem Land in der glücklichen und
keineswegs selbstverständlichen Lage, dass wir wohl kaum unserer Glaubensüberzeugung
wegen vors Gericht kommen oder Statthaltern und Fürsten zur Anklage
vorgestellt werden (in anderen Regionen unserer Welt ist das noch heutzutage
gang und gäbe!). Sollten wir deshalb aber nicht viel mehr unsere Freiheit
nützen und offener und deutlicher und entschiedener bekennen, was
unser Glaube ist? Dazu gehört, dass wir unsere Stimme überall
dort erheben, wo Leben bedroht oder mit Füßen getreten wird
und uns nicht scheuen, Sünde und Unrecht beim Namen zu nennen.
Ich denke da z.B. an die zunehmend brutaleren Darstellungen von Gewalt
und Sexualität im Fernsehen und mit welcher Selbstverständlichkeit
bereits in den Nachmittagsserien, die unsere Kinder anschauen, Ehebruch
und laufender Partnerwechsel als die allernormalste Sache der Welt vermittelt
werden. Und können wir das noch achselzuckend hinnehmen, wenn wir
in der Zeitung lesen, dass jeder Deutsche im Schnitt 200 mal am Tag lügt?
Es ist wahrlich an der Zeit, dass wir Christen Farbe bekennen und uns
einsetzen für Grundwerte des Zusammenlebens, wie Ehrlichkeit, Achtung
von Ehe und Familie, Schutz des Lebens, Gerechtigkeit und Nächstenliebe!
Das kann konkret werden, wenn wir z.B. am Stammtisch ausländerfeindlichen
Sprüchen entgegentreten, indem wir bezeugen, was in der Bibel immer
wieder betont und im 5. Buch Mose zusammenfassend gesagt wird: „Der Herr,
euer Gott ist der Gott aller Götter und der Herr aller Herren, der
große Gott, der die Person nicht ansieht und schafft Recht den Waisen
und Witwen und hat die Fremdlinge lieb, dass er ihnen Speise und Kleider
gibt. Darum sollt ihr auch die Fremdlinge lieben...“ (5. Mose 10,17-19).
Wenn wir uns in einer entsprechenden Runde befinden, kann es durchaus sein,
dass wir dann ganz schön in die Mangel genommen werden und wir uns
wie ein Schaf unter lauter Wölfen vorkommen! Müssen wir uns davor
fürchten, dass wir gegen die vielen Argumente, Urteile und Vorurteile
nichts mehr sagen können? „Es soll euch zu der Stunde gegeben werden,
was ihr reden sollt“, sagt uns derjenige, der am Kreuz von Golgatha nicht
nur für die Juden und die Römer, sondern auch für Deutsche,
Polen, Iraner, Türken und alle anderen Menschen auf dieser Welt gestorben
ist. ER ist an Ostern auferstanden und hat das Leben und unvergängliches
Wesen ans Licht gebracht für alle, die an ihn glauben und sich zu
ihm bekennen.
„Es soll euch zu der Stunde gegeben werden, was ihr reden sollt. Denn
nicht ihr seid es, die da reden, sondern eures Vaters Geist ist es, der
durch euch redet.“ Der Schlusssatz unseres heutigen Predigttextes sollte
uns allen Mut machen, viel ungehemmter, unbeschwerter und fröhlicher,
klüger und ohne Falsch zu dem zu stehen, was Gott uns in Jesus Christus
und mit seinem Wort geschenkt hat. Natürlich nicht plump und aggressiv
– so wie es Sektenprediger gerne tun, sondern klug und überlegend
wie die Schlangen – also berechnend, wie es am besten wirkt und überzeugt.
Dabei aber ohne Falsch wie die Tauben, also offen, ehrlich, liebevoll und
den andern zugewandt. So soll unser Bekenntnis sein. Oder wie es der Psalmdichter
ausdrückt: „Ich will Gott rühmen; auf Gott will ich hoffen und
mich nicht fürchten. Was können mir Menschen tun? (Ps. 65,5).
Amen.
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