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Und dem Engel der Gemeinde in Smyrna schreibe: Das sagt der Erste und der Letzte, der tot war und ist lebendig geworden: Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut - du bist aber reich - und die Lästerung von denen, die sagen, sie seien Juden, und sind's nicht, sondern sind die Synagoge des Satans. Fürchte dich nicht vor dem, was du leiden wirst! Siehe, der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis werfen, damit ihr versucht werdet, und ihr werdet in Bedrängnis sein zehn Tage. Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die [b] Krone des Lebens geben. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt! Wer überwindet, dem soll kein Leid geschehen von dem zweiten Tode.
1890 - 1915; 1892 - 1917; 1896 - 1918 und dann noch viel zahlreicher:
1914 - 1940, 1915 - 1942, 1917-1939, 1920 - 1945, 1922-1944, usw., usf.
Von anderen wissen wir gar nicht, wo sie geblieben sind - das Herz derer, die sie vermissen, muss ihre Ruhestätte sein.
Und dann sind noch die Tausende und abertausende, die kein Kreuz auf ihrem Grab haben, sondern die mit einem gelben Judenstern an ihrer Brust, zusammen mit tausenden anderen in einem Massengrab verscharrt wurden.
Unversehens kommen wir ins Nachdenken und ins Fragen: Warum mussten sie so sterben? Was für ein Sinn steckt dahinter? Wir fragen nach dem Leid in der Welt; fragen vielleicht auch nach unseren eigenen, ganz persönlichem Leiden. Warum muss ich dieses Schicksal durchmachen? Warum habe ich es gerade mit dieser Sache so schwer?
Und wenn wir Schweres bei anderen miterleben, wenn uns so schreckliche Nachrichten, wie jenes Seilbahnunglück am Kitzsteinhorn, erreichen, fragen wir vielleicht voller Teilnahme: Warum musste es diese Menschen treffen? Oder bei einer Naturkatastrophe: Warum ist jenes Volk so leidgeprüft? Warum kommt es überhaupt, dass Menschen in Afrika und anderswo hungern müssen, anderen es aber so gut geht? Hängt das wirklich allein von dem ab, was einer leistet? Wie würde es mir gehen, wenn ich in Bangladesh oder Bhutan geboren wäre und nicht hier? Warum sind die Güter so ungerecht verteilt auf dieser Welt?
So geht das Fragen weiter und immer wieter: Woher kommt das alles? Und warum können wir am Leid, an der Gewalt und der Ungerechtigkeit dieser Welt so wenig ändern? Wir schaffen doch sonst so große Dinge! Wir können den Weltraum erobern und atome spalten, wir können mit Genen experimentieren und die tiefsten Tiefen des Meeres erforschen. Aber gegen Leid, Gewalt und Ungerechtigkeit sind wir offenbar machtlos.
Die Christen in Smyrna - an sie sind ja diese Worte gerichtet - sahen Leiden für sich voraus. Man würde sie verfolgen. Das zeichnete sich bereits ab. Gefängnis, Folter und Märtyrertod waren zur konkreten Wirklichkeit geworden für die, die nicht den römischen Kaiser Domitian, sondern allein Jesus Christus als ihren Herrn und Gott verehrten.
Da wird auch bei den Christen in Smyrna das Fragen begonnen haben: Warum müssen wir das erleiden? Woher kommt das?
Und der Gemeinde wird geantwortet: Das kommt vom Teufel. Das ist der Satan, der euch da entgegentritt. Was ist damit gesagt: der Teufel? Nun - mit dieser antwort ist klar, dass unser Leiden nicht immer direkt mit uns zu tun hat. Es gibt in der Regel keinen direkten, unmittelbaren Zusammenhang zwischen unserer Schuld und dem Leid, das uns überkommt. Ds Böse selbst, das Böse in Person tritt da an uns heran. Gegen diesen angriff sind wir so gut wie machtlos. Das ist übermenschlich.
Und deshalb müssen wir aufpassen, wenn hier in unserem Bibelabschnitt von denen die Rede ist, „die sagen, sie seien Juden und sind's nicht, sondern sind die Synagoge des Satans". Damit werden gerade nicht jene bestätigt, die gesagt haben: „Alles Unheil kommt von den Juden". Die das gesagt haben und heute noch oder leider wieder behaupten, waren und sind genauso oder noch mehr Werkzeuge des Teufels, wie damals jene Minderheit unter den Juden, die die christliche Gemeinde in Smyrna belästigten und verfolgten.
Ja, müsste man nicht jene Teile der Christenheit, die es vor 60 Jahren leider auch gab, die aus dem Juden Jesus einen Arier machen wollten, als des „Satans Kirche" bezeichnen - Werkzeuge des Bösen und des Widergöttlichen?
Sollten wir aber nicht lieber den Teufel ganz aus dem Spiel lassen? Manche Leute halten den Teufel ohnehin für eine lächerliche Figur. Sie halten ihn für ein Hirngespinst, das kindlichen Phantasien entsprungen ist, ein Überbleibsel aus der Kindheit des Menschengeschlechts. Aber sind es nicht oft dieselben so „aufgeklärten" Leute, die dann hingehen und die Schuld für ihr Leiden bei den anderen suchen, die andere Menschen schlechtmachen, ja sie verteufeln? Suchen die, die den Teufel verlachen, etwa den Teufel in ihren Mitmenschen, oder in den Umständen oder in irgendwelchen Systemen und Strukturen? Da sieht man dann z.B. in der jeweils anderen politisch-ideologischen Weltmacht das „Reich des Bösen".
Nein, die Realität des Bösen, die Existenz einer widergöttlichen Macht, lässt sich nicht so leicht verdrängen und verleugnen.
Es gibt da noch eine andere Möglichkeit. Man sucht den Teufel in sich selbst. Das gibt es ja: Dass leidgeprüfte Menschen sich selbst quälen, zermartern und foltern und immer wieder fragen: „Was habe ich verbrochen!?
Wenn ich aber die Ursache für mein Leiden oder das Leiden anderer allein in meiner Schuld oder in der Schuld anderer Menschen suche, muss ich einfach verzweifeln. Dann bin ich ganz allein. Niemand kann mir helfen.
Ich will ja die Ursache des Leidens, der Gewalt und der Ungerechtigkeit beseitigen. Aber kann ich die Menschen ändern? Kann ich sie zwingen, anders zu sein? Kann ich mich selbst zwingen? - Das Unternehmen ist ziemlich hoffnungslos.
Wie kann ich den Anläufen des Bösen widerstehen? Wie kann ich im Leiden bestehen? Wie kann ich überwinden?
Da sprach Polykarp: „86 Jahre diene ich ihm, und er hat mir nie ein Leid getan; wie kann ich meinen König Christus lästern, der mich erlöst hat?!" Da beschlossen sie, Polykarp bei lebendigem Leibe zu verbrennen. Noch auf dem Scheiterhaufen betete Polykarp: „Herr, Vater deines Sohnes Jesus Christus, ich preise dich, dass du mich dieses Tages und dieser Stunde gewürdigt hast..."
Er war getreu bis an den Tod. Wie konnte er das? Vielleicht können wir die Antwort bei einem Zeugen des zu Ende gehenden 20. Jahrhunderts finden: Dietrich Bonhoeffer hat an der Jahreswende 1944/45 als Widerstandskämpfer gegen Hitler das sichere Todesurteil vor Augen in seiner Gefängniszelle ein Gedicht für seine Mutter und seine Braut geschrieben, das vielen von uns bekannt ist:
„Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.
Noch will das Alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last;
ach, Herr, gib unsern aufgescheuchten Seelen
das Heil, das du für uns bereitet hast.
Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern
Des Leids gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.
Von guten Mächten wunderbar geborgen
Erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen
Und ganz gewiss an jedem neuen Tag."
Das kann nur einer so ausdrücken und sagen, der das ernst nimmt, was am Anfang unseres Bibelabschnitts steht: „Das sagt der Erste und der Letzte, der tot war und ist lebendig geworden. Ich kenne deine Bedrängnis..."
Ich finde, hier wird deutlich: Menschen, die so reden wie ein Bischof Polykarp oder ein Dietrich Bonhoeffer oder ein Martin Luther King, die sind nicht festgelegt auf sich oder andere Menschen. Sie erwarten Heil und Unheil nicht aus Menschenkraft. Sie wissen sehr wohl um die Macht, die gegen die Menschen ist - und sie müssen ja auch unter ihr leiden. Sie setzen aber ihr Vertrauen auf die Macht, die für die Menschen ist. Ihre Kraft haben sie in dem Glauben, dass letztlich die gute Macht den Sieg über die feindliche hat: In Christus hat Gott den Teufel besiegt. „Das sagt der Erste und der Letzte, der tot war und ist lebendig geworden."
Wer sich an ihn hält, wer Ihm vertraut und somit treu bleibt bis ans Ende, der hat selber überwunden, der wird die Krone des Lebens empfangen; d.h. er wird leben in Ewigkeit. Den zweiten Tod wird er nicht schmecken; d.h. den ewigen Tod und das ewige Getrenntsein von Gott, das den en zukommt, die gestorben sind, ohne in diesem Leben Gottes Lebensangebot angenommen zu haben.
Wir leiden keine Verfolgung wie die Christen in Smyrna. Das Dritte Reich mit seinen Teufeleien ist untergegangen. Von ihm ist nur noch das graue Heer der Kreuze auf den Gefallenenfriedhöfen geblieben und die schreckliche Erinnerung derer, die zu Opfern dieses Regimes wurden.
Wir werden nicht verfolgt um unseres Glaubens willen. Doch abgesehen davon, dass ich das jederzeit ändern könnte, sehe ich auch jetzt eine große Gefahr: Die Gefahr der Abstumpfung, der Gleichgültigkeit gegenüber all den Teufeleien auf dieser Welt. Wir überlassen ihm, dem Teufel, der überall Hass und Zwietracht sät, kampflos das Feld. Wir trauen unserem Herrn nicht zu, dass er stärker ist als der Satan, und wagen es deshalb nicht, gegen ihn anzugehen.
Wenn ich mit meinem Nachbarn, mit meinen Verwandten oder meinen Arbeitskollegen zerstritten bin und nicht mehr mit ihnen rede; wenn ich es aufgegeben habe mit ihnen, wenn ich die Versöhnung nicht suche - ist das nicht ein Sieg des Bösen ´über die versöhnende Kraft des Glaubens?
Wenn ich schweigend zusehe, wie unsere Jugend verführt wird mit brutalen, gewalttätigen und obszönen Schrifttum, Filmen und Videos, reiche ich da dem Teufel nicht den kleinen Finger? Wenn ich die immer wieder laut werdenden feindlichen und gehässigen Aussagen gegen Fremde, Ausländer und Aussiedler unwidersprochen hinnehme - räume ich nicht auch da dem Teufel ein Stück weit das Feld? Muss es uns nicht zutiefst erschrecken, wenn in unserer Nachbarstadt Schorndorf Rechtsgerichtete einen seit vielen Jahren unter uns lebenden Ausländer auf offener Straße zusammenschlagen und misshandeln? Vor 60 Jahren haben die Christen weitgehend geschwiegen als jüdische Mitbürger zunehmend drangsaliert, verfolgt und gequält wurden. Gewiss: Damals gehörte Mut dazu, etwas dagegen zu sagen. „Sei getreu bis an den Tod" - Vielleicht bedeutet das, liebe Gemeinde, dass wir Christen in einem Land, in dem wir offen unsere Meinung sagen dürfen, auch offener und mutiger bekennen, das Böse beim Namen nennen, es vor allem in uns selber bekämpfen.
Wir können das tun, weil wir wissen, einer ist stärker als die Macht des Bösen: Jesus Christus. Ohne ihn könnten wir nichts ausrichten. Mit ihm aber können wir überwinden - zunächst einmal uns selber, unsere Trägheit und Gleichgültigkeit gegenüber dem Bösen in uns und um uns. Und wir können dann hier und da ein Zeichen setzen: Zeichen der Liebe - gegen den Hass; der Versöhnung - gegen die Feindschaft; der Hilfsbereitschaft - gegen die Gleichgültigkeit; der Großzügigkeit - gegen die Missgunst und den Neid; der Gastfreundschaft - gegen die Fremdenangst und den Fremdenhass.
Nicht immer wird das leicht sein. Es wird Enttäuschungen geben und Rückfälle. Man wird missverstanden werden, vielleicht auch angefeindet. Aber da dürfen wir uns an unseren Bibelabschnitt erinnern: „Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut" heißt es da - „du bist aber reich..." Ja, wer den Herrn hinter sich weiß, der um ihn weiß und mit ihm rechnet, der ist reich, der ist gehalten und getragen auch in der Bedrängnis.
Amen.
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