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Liebe Gemeinde!
Der Predigttext für den heutigen letzten Sonntag nach dem Erscheinungsfest
steht
in der Offenbarung des Johannes, Kapitel 1, die Verse 9-18:
"Ich, Johannes, euer Bruder und Mitgenosse an der Bedrängnis und
am Reich und an
der Geduld in Jesus, war auf der Insel, die Patmos heißt, um
des Wortes Gottes
willen und des Zeugnisses von Jesus.
Ich wurde vom Geist ergriffen am Tag des Herrn und hörte hinter
mir eine große
Stimme wie von einer Posaune,
die sprach: Was du siehst, das schreibe in ein Buch und sende es an
die sieben
Gemeinden: nach Ephesus und nach Smyrna und nach Pergamon und nach
Thyatira und
nach Sardes und nach Philadelphia und nach Laodizea.
Und ich wandte mich um, zu sehen nach der Stimme, die mit mir redete.
Und als ich
mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter und mitten unter den
Leuchtern
einen, der war einem Menschensohn gleich, angetan mit einem langen
Gewand und
gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel.
Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie weiße Wolle,
wie der Schnee, und seine
Augen wie eine Feuerflamme und seine Füße wie Golderz, das
im Ofen glüht, und
seine Stimme wie großes Wasserrauschen;
und er hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand, und aus seinem Munde
ging ein
scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Angesicht leuchtete, wie
die Sonne
scheint in ihrer Macht.
Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie tot; und
er legte seine rechte
Hand auf mich und sprach zu mir: Fürchte dich nicht! Ich bin der
Erste und der
Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig
von Ewigkeit
zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle."
Liebe Gemeinde!
In einer Auslegung zu unserem Predigttext heißt es: „Ein Sonntag
ohnegleichen
hebt über der kleinen Insel Patmos an, einzigartig und unwiederholbar
in der
Geschichte der Kirche". An diesem „Sonntag ohnegleichen" schreibt der
Seher
Johannes, was uns in der Offenbarung, im letzten Buch der Bibel begegnet,
nachdem
er in einer überwältigenden Vision all das geschaut hat,
was an diesem Tag über
ihn gekommen ist. Seither hat dieses Buch die Gemüter bewegt.
Die Offenbarung des
Johannes ist bis heute ein umstrittenes Buch. Mit seinen eigentümlichen
Bildern
und Vorstellungen bleibt es vielen fremd, ja verschlossen - andere
sind davon
fasziniert und kommen nicht mehr los davon. Für manche ist es
ein Buch mit sieben
Siegeln, das sie nicht entschlüsseln können. Es ist in der
Tat nicht leicht,
Zugang zu finden zu dieser scheinbar vergangenen Vorstellungswelt,
die in diesem
letzten Buch der Bibel zur Sprache kommt. Und doch sind die Bilder,
die uns da
begegnen und die Texte, die sie beschreiben von einem eigentümlichen
Reiz. Wer
sich einmal auf dieses Buch eingelassen hat, kommt von ihm so schnell
nicht mehr
los.
Es ist entstanden in einer Zeit, in der sich die frühe Kirche
Jesu Christi gegen
viele äußere und innere Feinde abgrenzen musste. Das kommt
auch indirekt in dem
heutigen Predigttext zum Ausdruck, der uns von der Beauftragung des
Johannes
berichtet, dieses Offenbarungsbuch zu schreiben. In einem gewaltigen
Offenbarungsgeschehen erlebt Johannes, was es bedeutet, dem lebendigen
und
auferstandenen Herrn Jesus Christus zu sehen.
Ihn zu sehen, der zur Rechten Gottes herrscht in alle Ewigkeit, das
- so erlebt
es Johannes an seiner eigenen Person -
(1) vereint mit allen, die an ihn glauben;
(2) das wirft zu Boden, aber
(3) das richtet letztendlich auf, ermutigt und stärkt.
I
(Zum ersten): Einsam ist Johannes. Verbannt auf der Insel Patmos. 100
Km von
Ephesus entfernt, wo eine der sieben kleinasiatischen Gemeinden ist,
für die er
schreiben soll und in denen er ein bi-schofsähnliches Amt bekleidete.
Diese
kleinen christlichen Gemeinden sind in arger Bedrängnis. Ihre
Glieder leben ganz
verstreut als Minderheit in den Städten und Orten, in denen der
Kaiserkult, die
Vergottung des römischen Herrschers, besonders ausgeprägt
war. Die Stadt Ephesus
nannte sich sogar stolz „Kaiserliche Tempelhüterin". Der damals
herrschende
Kaiser Domitian ließ sich dort ganz selbstverständlich als
„Herr, Gott und
Heiland" verehren. Seine Standbilder mussten überall gegrüßt
und angebetet
werden. Mit dieser von oben verordneten Praxis mussten die dort lebenden
Christen
zwangsläufig in Konflikt geraten.
Machten sie - zumindest äußerlich - diese göttliche
Verehrung des Kaisers mit,
dann verleugneten sie ihren wahren Herrn und Heiland Jesus Christus
.
Versuchten sie möglichst unauffällig sich durchzulavieren
ohne anzuecken, bestand
die Gefahr, in ihrem Glauben lau zu werden und immer mehr davon abzurücken.
Widersetzten sie sich aber und verweigerten dem römischen Kaiser
das, was nur
Gott zukommt, dann konnte ihnen das - wie wohl in diesem Fall dem Johannes
- die
Verbannung in ein abgelegenes Straflager einbringen „um des Wortes
Gottes willen
und des Zeugnisses von Jesus".
Einsam sitzt nun Johannes auf der Insel Patmos, von seinen Gemeinden
getrennt, in
großer Sorge um ihren Bestand und ihre Standhaftigkeit. In Gedanken
wenigstens
ist er mit ihnen verbunden, ein - wie er schreibt - „Bruder und Mitgenosse
an der
Bedrängnis".
Jetzt sind sie gerade drüben auf dem Festland zum Gottesdienst
versammelt. Es ist
ja Sonntag, der Tag des Herrn. Johannes ist mit ihnen verbunden nicht
nur im
Leiden, sondern auch im Hoffen: Drüben auf dem Festland feiern
sie Gottesdienst,
singen und beten zu ihrem Herrn und Heiland. Hier in der Verbannung
können keine
Mauern und kein Kaiser verhindern, dass er das auch tut. Und sie können
nicht
verhindern, dass dieser Herr und Heiland zu ihm kommt. In einer großartigen
Schau
sieht Johannes, wer tatsächlich wahrer Herr und Gott ist. er hört
eine gewaltige
Stimme und er sieht sieben goldene Leuchter.
Sieben - eine vollkommene, eine heilige Zahl. Die sieben Leuchter stehen
für die
sieben Gemeinden, an die Johannes schreibt, aber nicht nur für
sie, sondern für
die ganze Kirche . Überall verstreut auf dieser Welt brennen diese
Leuchter -
überall, wo Christen zusammenkommen und Gottesdienst feiern. Auch
unsere
Altarleuchter mit den brennenden Kerzen sind Zeichen dafür.
Und jetzt das Entscheidende: „mitten unter den Leuchtern", zwischeninne;
überall
da, wo die Lichter angezündet sind: In Ephesus, und die Römerstraße,
der „Straße
der Cäsaren" entlang in Smyrna, Pergamon und Thyatira; in Sardes,
Philadelphia
und Laodicea und überall, in allen Ländern: der erhöhte
Christus, der
Menschensohn; der mit dem die Auferstehungswelt begonnen hat, der A
ist und O -
Anfang und Ende, der zu den Seinen gesagt hat: „Siehe, ich bin bei
euch alle Tage
bis an der Welt Ende."
In Ihm sind die Gemeinden und Christen verbunden - auch wenn sie durch
Meere,
Mauern, Stacheldrähte oder was sonst voneinander getrennt sind.
Johannes schaut
den sonst Unsichtbaren auf seiner Insel der Verbannung, aber dieser
ist genauso
in den Gemeinden gegenwärtig. Haben sie den Herrn selbst in ihrer
Mitte und hat
Johannes ihn vor Augen: so sind sie alle miteinander verbunden.
Merken wir, was das bedeutet? Überall in der Welt kommen jetzt
heute - höchstens
zeitverschoben - Christen zusammen zum Gottesdienst - unter den verschiedensten
Umständen: In großen prächtigen Domen oder in armseligen
Bretterhütten in
irgendeinem der vielen Elendsvierteln dieser Welt; mitten in der Stadt,
oder
irgendwo am Rande versteckt in einem Hinterhaus, einem Keller oder
einer Höhle;
in festlicher Sonntagsfreude, oder mit Zittern und Zagen und in anhaltendem
Gebet
um Schutz und Bewahrung; auf einem großen sonnenbeschienenen
Platz im Freien oder
in einer düsteren Gefängniszelle...
Ist uns das bewusst, wieviele ganz unterschiedliche Menschen heute
mit uns auf
der ganzen Welt Gottesdienst feiern, auf Gottes Wort hören, zu
ihm beten und mit
ihren Liedern Gott preisen?
Es können Gemeinden und die zu ihnen gehörenden Menschen
im räumlichen, aber auch
im übertragenen Sinne weit voneinander entfernt sein: weiß
man nur, dass zwischen
den „Leuchtern" der Herr gegenwärtig ist, dann sind sie eins.
Auf Ihn schauen, zu
Ihm beten, Ihn sehen, das vereint.
II
Ihn sehen, Ihn wirklich sehen, das kann aber auch zu Boden werfen,
das kann einen
regelrecht umhauen.
Was sieht Johannes? Er sieht den erhöhten Herrn, angetan mit allen
kaiserlichen
und priesterlichen Herrschaftszeichen, die der Kaiser für sich
beanspruchte: mit
dem Talar und dem Gürtel des Hohenpriesters und mit den Goldbrokatschuhen
des
siegreichen Weltherrschers. In der Rechten hält er - wie auch
in den damals
umlaufenden Kaisermünzen dargestellt - sieben Sterne.
Wir merken: Was Johannes hier sieht, ist samt und sonders göttlicher
Protest
gegen den Kaiserkult. Die vom Kaiser beanspruchte kosmische, weltweite
Allmacht
gehört gerade dem, der der Herr seiner kleinen, verfolgten Gemeinde
ist und in
ihr wirkt. Er, nicht der Kaiser, ist der wahre Gott und Herr. Vor keinem
Kaiserbild hat Johannes die Knie gebeugt. Aber vor diesem Herrn fällt
er auf sein
Angesicht.
„Als ich ihn sah", schreibt er, „fiel ich zu seinen Füßen
wie tot". Man merkt es
ihm an, dass die Worte nicht hinreichen, das nachzuzeichnen, was er
gesehen hat:
Uns müsste - nach seinen Worten - der sonnenhelle Glanz des Christuslichtes
blenden - wie weiße Wolle, nein: wie der Schnee, nein: wie Feuerflammen,
nein:
wie glühendes Erz im Ofen! Und dabei das ohrenbetäubende
Wasserrauschen.
Da kann Johannes nur noch niederfallen zu Füßen dieses gewaltigen
Herrn!
Uns kommt alles mehr als fremd vor. Wir sind es nicht gewohnt, in solchen
Bildern
zu denken. Und doch beschreibt das, was Johannes sieht - in seiner
Sprache und
Vorstellungswelt - genau das, was in dem Menschen vorgeht, der sich
mit Gottes
Allmacht und Gerechtigkeit konfrontiert sieht. Wenn wir Menschen uns
im Lichte
der göttlichen Wahrheit wirklich erkennen und sehen, dann können
wir nur wie der
Prophet Jesaja bei seinem Berufungserlebnis rufen: Weh mir, ich vergehe!"
Mein
Leben und das, was ich daraus mache, kann keinen Bestand haben vor
Gottes ewigen
Richterspruch, der in Jesus Christus an mich ergeht. Denn „sein
Wort ist
lebendig und kräftig und schärfer denn ein zweischneidig
Schwert und dringt
durch, bis dass es scheide Seele und Geist, auch Mark und Bein und
ist ein
Richter der Gedanken und Herzen", wie es im Hebräerbrief, in Anlehnung
an das
Bild vom zweischneidigen Schwert heißt, das hier aus dem Munde
des erhöhten
Christus geht. Wer sollte, wer könnte da bestehen?
Wo man Jesus wirklich begegnet, wo man sich als Sünder vor dem
Heiligen Gottes
sieht, da bricht man zusammen, und, wenn das nicht geschehen ist, dann
hat man’s
noch vor sich. Es ist keine harmlose Sache, Christus zu begegnen.
III
Aber da fühlt der zu Boden gestürzte Johannes die ihm aufgelegte
Hand: Die rechte
Hand eben dieses gewaltigen, in himmlischer Helligkeit glänzenden
heiligen Herrn.
Und diese Hand trägt die Nägelmale des Kreuzes. Es ist wahr:
Vor Gott können wir
sündigen Menschen nicht bestehen. Aber wenn wir das erkennen,
dann bietet uns
Gott die Hand seines gekreuzigten Sohnes an, die da sagt: „Fürchte
dich nicht!"
Gott will nicht die Sünde rechtfertigen, ganz gewiss nicht! Aber
den Sünder. Das
erklärt, warum Jesus hier das lange, um die Brust umgürtete
Amtskleid des
Hohenpriesters trägt. Er tritt als Mittler vor Gott für uns
ein. Ja, er gibt sich
selber als Opfer hin für unsere Schuld. „Ich war tot", sagt er.
Ja, er ist für
uns, für unsere Schuld gestorben am Kreuz von Golgatha. Aber nun
ist er „lebendig
von Ewigkeit zu Ewigkeit und hat die Schlüssel der Hölle
und des Todes." Er ist
auferstanden an Ostern und seither hat er Gewalt auch über Hölle
und Tod. Sie
können uns nicht für immer von Gottes Liebe trennen. Er,
Jesus, kann uns das Tor
zum Leben, zum ewigen Leben, das über den Tod hinausgeht, aufschließen.
Und er
tut es, wenn wir ihm folgen und seinem Ruf „Fürchte dich nicht!"
vertrauen.
Dies alles darf Johannes den bedrängten und verfolgten Gemeinden
in Kleinasien
mitteilen. Er kann ihnen mit diesen Worten sagen: Wenn euch der römische
Kaiser
auch noch so bedrängt, das letzte Wort hat er nicht. In letzter
und höchster
Instanz hat ein Anderer das Sagen, entscheidet ein anderer: Jesus Christus.
Gesetzt den Fall, ein Angeklagter wüsste mit völliger Sicherheit,
dass er in
letzter Instanz freigesprochen wird: Er würde die Prozesse in
allen anderen
Instanzen unerschüttert durchlaufen, selbst wenn gegen ihn auf
höchste Strafe
erkannt wird. Deshalb kann der Kaiser Domitian anstellen, was er will:
Die, für
die Christus eintritt, sind die Sieger, auch dann, wenn er ihnen noch
so
schrecklich mitspielt. Das ist die Botschaft, die Johannes mit diesen
- teilweise
verschlüsselten Bildern seiner Gottesschau den bedrängten
Christen in Kleinasien
weiterzugeben hat: Haltet durch, überwindet, denn der Todesüberwinder
ist mit
euch und bei euch!
Diese Botschaft gilt auch uns heute, auch wenn wir nicht verfolgt werden
wie die
Christen damals: Wo und wie wir uns auch befinden - in inneren oder
äußeren
Nöten, in Ängsten, in Trauer, in schwerer Krankheit oder
belastet durch Konflikte
oder Schuld - wenn wir uns an Christus halten, kann uns letztlich nichts
anhaben,
denn das letztgültige Wort spricht der, der mit uns gelebt hat
und für uns
gestorben und auferstanden ist. In jedem Gottesdienst der Gemeinde
ist er bei
seiner Gemeinde gegenwärtig - ob im prächtigen Dom oder in
der düsteren
Gefängniszelle, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind
- und richtet
auf, tröstet und gibt neuen Lebensmut.
Diese Botschaft, liebe Gemeinde, wollen wir mitnehmen, wenn jetzt die
Epiphaniaszeit, die Zeit nach Weihnachten endgültig zu Ende geht:
Jesus ist auf
dieser Welt erschienen, um uns gewiss zu machen: Nichts, aber auch
gar nichts,
weder Tod noch Leben, weder Engel, noch Mächte noch Gewalten,
weder Gegenwärtiges
noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur
kann uns
scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.
Das kann und soll uns Mut machen - auch in schwierigen Lebenssituationen,
von
denen keiner verschont bleibt, standzuhalten und zu wissen: Ich bin
nicht allein
und ich werde bestehen, was immer auch kommen mag, wenn ich mich an
meinen
unsichtbaren, aber doch immer gegenwärtigen Herrn halte. Amen.
Amen.
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