Predigt Pfarrer Karle
 
Predigt von Pfarrer Hans-Georg Karle
Gehalten am 20.02.2000 in den urbacher Kirchen.
Biblischer Text: Jer.9,22.23 
Der Predigttext für den heutigen 3. Sonntag vor der Passionszeit, dem Sonntag Septuagesimae, steht im Buch des Propheten Jeremia, Kapitel 9, Vers 22+23: So spricht der HERR: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums. Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der HERR.

Liebe Gemeinde!
"So ein Angeber!" - Sehr schnell fällt dieses Urteil, wenn jemand unter uns sich rühmt. Vielleicht hören wir anfangs noch interessiert zu, wenn da jemand von seinen Fähigkeiten berichtet und seine Erfolge aufzählt. Wenn er aber dann zu dick aufträgt, schalten wir bald ab. Und weil wir wissen, dass andere uns gegenüber genauso reagieren, sind wir eher vorsichtig mit dem Selbstruhm. Nein, lieber Jeremia, wir als Schwaben, sind bescheiden. Und wenn wir keine Schwaben, sondern nur Reingeschmeckte sind, dann passen wir uns unserer Umgebung an. Wir nehmen den Mund nicht zu voll. Wir rühmen uns nicht unserer Weisheit, unserer Stärke und unseres Reichtums. Jedenfalls tun wir es nicht öffentlich, sondern halten vor allem unseren Reichtum eher verborgen. Geht uns dann dieses Prophetenwort heute nichts an? Sind bloß die anderen damit gemeint: jene, die den Mund allemal so voll nehmen? Doch passen wir auf! Wir sollten uns nicht gleich bequem zurücklehnen und die Prophetenworte über andere ergehen lassen. Könnte es nicht sein, dass unsere typisch schwäbische Zurückhaltung und Bescheidenheit nur Mittel zum Zweck ist? Wir rühmen uns nicht selbst - ganz gewiss nicht! Aber wir sind sehr wohl darauf bedacht in allem, was wir tun und sagen, in einem möglichst positiven Licht zu erscheinen. Die ganze Art, wie wir uns geben und wie wir uns verhalten, zielt darauf, dass eben andere uns rühmen - und sei es mit den Worten: "Das ist aber ein bescheidener Mensch!" Irgendwie ist das ja auch verständlich. Wir brauchen Anerkennung. Wir sind darauf angewiesen, dass man uns schätzt. Schon kleine Kinder brauchen Lob und Aufmunterung, um leben und sich entfalten zu können. Unser Selbstbewusstsein hängt ein großes Stück weit von unserer Stellung in der Gemeinschaft der Menschen ab, mit denen wir leben. Und weil wir wissen, dass unser Leben vergänglich ist, sind wir darauf bedacht, etwas Bleibendes zu schaffen. Wir Menschen wollen weiterleben, fortdauern in unseren Werken und in dem, was man von uns erzählt. Da liegt der Ursprung aller Versuche dessen, was die Bibel das "Sich-Rühmen" nennt - auch wenn dies nicht in Form des Eigenlobes geschieht. Wir wollen irgendwie Ruhm erwerben, und sei es auch im engsten Kreis der Familie, bei den Freunden, ja vielleicht auch nur vor uns selbst. Dabei mag es sehr unterschiedlich sein, wessen man sich rühmt. Ein lateinisches Sprichwort sagt: "Der Soldat zählt seine Wunden, die Schafe der Hirte..." - wir können fortfahren: "...der Pfarrer die Gottesdienstbesucher, der Beamte die bearbeiteten Akten, der Sportler die Medaillen..." So hat jeder seinen kleinen Stolz; etwas, wo er sich mit den anderen messen, sich den anderen überlegen fühlen, sich ihnen gegenüber "rühmen" kann. In der hebräischen Sprache, in der der Prophet Jeremia gesprochen hat, hat dieses Wort "Rühmen" eine eigenartig eindrückliche, ganz konkrete Bedeutung. Es heißt wörtlich übersetzt: "sich selbst zujubeln". Jeremia sagt uns auch, weshalb wir uns zujubeln: Ein Weiser jubelt sich zu wegen seiner Weisheit. Ein Starker wegen seiner Stärke, ein Reicher jubelt sich zu, weil er reich ist. Weisheit, Stärke, Reichtum - das war die heilige Dreifaltigkeit menschlicher Größe zur Zeit des Propheten Jeremia - und sie ist es noch heute: Weisheit, Stärke, Reichtum - das zählt! Ob nun der kleine Mann immer wieder selbstgefällig auf die Höhe seiner Ersparnisse schielt oder der Großunternehmer die Milliardensumme seines Umsatzes bekanntgibt - beide leben und handeln nach dem Motto des reichen Kornbauers aus dem Evangelium, der seine gute Ernte eingebracht und eingelagert hat und sich nun selbst zujubelt: "Liebe Seele, du hast nun Vorrat auf viele Jahre. Habe nun Ruhe, iss und trink und habe guten Mut." Wenn auch nicht für die Ewigkeit, so hat er doch für viele Jahre einen festen Stand gewonnen gegen das lebensbedrohende Nichts. Er weiß ja nicht, dass alles nur Illusion ist; dass ein Stärkerer seine Hand nach ihm noch in dieser Nacht ausstrecken kann. Ein Stärkerer auch als jener Goliath, der meinte, aufgrund seiner Körpergröße und seiner eisernen Rüstung, Gott und seinem Volk hohnsprechen zu können. Der eine jubelt sich zu, weil er jetzt reich ist und es zu etwas gebracht hat und mit seinem Vorrat über viele Jahre ausgesorgt zu haben meint; der andere, weil er der Stärke seiner Arme und seiner Rüstung vertraut und jeden bezwingt, der ihm zu nahe kommt. Der Weise aber betrachtet beide und erkennt, dass beide auf Sand gebaut haben: Weiß der Reiche denn, was sein Reichtum morgen noch wert ist, was sein Reichtum ihm helfen kann, wenn es ans Sterben geht? Und der Starke? Er ist doch nur so lange stark, bis ein noch stärkerer über ihn kommt! Insofern ist der Weise dem Starken und dem Reichen voraus und wenn er sich rühmt, dann tut er es in leisem, bedachten Ton. Für den Weisen lautet der Weisheit letzter Schluss: "Ich weiß, dass ich nichts weiß." Die Resignation ist das letzte, wozu sich menschliche Weisheit emporschwingen kann. Und so jubelt sich der Weise auch nicht lauthals zu wie Goliath und er schaut auch nicht wohlgefällig auf seine großen Vorräte wie der reiche Kornbauer. Aber in der Erkenntnis seiner Begrenztheit liegt auch ein Stolz: "Ich habe alles durchschaut! Mir kann niemand etwas vormachen! Meinem kritischen Blick ist nichts verborgen, auch die Geheimnisse Gottes nicht. Und komme ich auch nicht gegen Gott an, so durchschaue ich ihn doch!"

II
Zu dem allen sagt Gott: Nein - "Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums." So spricht der Herr durch das Wort des Propheten. Die alten Griechen, die etwas davon ahnten, dass die Gottheit menschlichen Hochmut zerbricht, sprachen hier von dem Neid der Götter, die Menschen nicht hochkommen lassen wollen. Jeremia redet aber nicht vom Neid Gottes. Der wahre Gott ist nicht neidisch. Er will die Menschen nicht zerbrechen. Ja, er will sogar, dass der Mensch sich selbst zujubeln kann, dass er auf etwas bauen und vertrauen kann. Er soll sein Haupt erheben und sich selbst zujubeln: "Wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der Herr bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden." Wir dürfen uns rühmen. Wir dürfen uns selbst zujubeln, liebe Gemeinde, dass wir Gott kennen. Dass wir Ihm als den Barmherzigen kennen und als den Gerechten. Als den Barmherzigen, der uns nicht unsere Fehler und Sünden kleinlich nachrechnet und uns am Ende die Rechnung präsentiert, an der jeder von uns - und sei er noch so stark, reich und weise - nur zugrunde gehen muss. Und als den Gerechten, dessen Gerechtigkeit nicht darin besteht, dass er in sturer Gesetzesmäßigkeit alle Menschen aburteilt, sondern dass er gerecht machen und zurechtbringen will, was vor ihm sonst keinen Bestand haben kann. Wir dürfen und sollen uns also rühmen, diesen Gott zu haben und zu kennen, dessen Wesen Barmherzigkeit und Gerechtigkeit und Liebe ist. Aber, liebe Gemeinde: Können wir uns wirklich rühmen, diesen Gott zu kennen? Wer von uns könnte so einfach von sich sagen: "Ich kenne Gott und weiß, dass er Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden"? Wie schnell sind wir kleinlaut, wenn jemand, der Schweres hat durchmachen müssen, uns fragt: "Wie konnte Gott das zulassen?" Und wie schwer tun wir uns mit einer Antwort, wenn wir gefragt werden: "Wo ist denn der barmherzige und gerechte Gott, wenn kleine Kinder in den Hungergebieten dieser Welt verhungern oder wieder unzähliche unschuldige Menschen bei einer Naturkatastrophe ums Leben kommen?" Dann stehen wir verlegen da und statt uns zu rühmen, ringen wir mühsam nach einer Antwort. Hoffentlich tun wir das und decken unsere Verlegenheit nicht mit frommen Sprüchen zu. Es gibt nä mlich auch eine Form der Ruhmsucht, die man religiösen Hochmut nennt: Menschen, die der religiöse Hochmut gepackt hat, wissen alles besser und durchschauen alles und haben für alles eine passende oder auch weniger passende Bibelstelle parat. Nur: Man glaubt ihnen nicht. Man weicht diesen Besserwissern aus und möchte sie am liebsten daran erinnern, dass selbst ein Mann so voller Gotteserkenntnis wie Paulus ausgerufen hat: "Wie unbegreiflich sind Gottes Gerichte und unerforschlich seine Wege; denn wer hat des Herrn Sinn erkannt und wer ist sein Ratgeber gewesen?" Wir müssen in der Tat bekennen: Wir wissen gar nicht viel und kennen Gott nicht. Unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich sind seine Wege. Aber wenn wir das wirklich tun, wenn wir so demütig werden und von Herzen sprechen: "ich vertraue nicht meinem Reichtum, meiner Stärke, meiner Weisheit, und ich kann mich auch nicht rühmen, den Herrn wirklich zu kennen" - wenn wir das zugeben, dann werden wir unseren Herrn Jesus Christus in seiner wahren Gestalt sehen. Und er sagt zu uns: "Es ist wahr, niemand kennt den Vater als nur der Sohn, niemand, nur der Sohn - und der, dem es der Sohn offenbart." Wer sich rühmen will, der rühme sich des Herrn. Und wer sich des Herrn rühmen will, der muss bei dem Sohn in die Lehre gehen und von Ihm lernen, wer dieser Herr ist. Wenn wir bei Ihm, bei Jesus in die Lehre gehen, werden wir viel entdecken, vieles lernen, viel wird uns offenbar werden. er wird uns zeigen, dass der Vater im Himmel gütig ist über Bitten und Verstehen; - dass er uns mehr geben kann, als wir erwarten; dass er uns Wege führt, die wir allein nie eingeschlagen hätten, weil wir sie nicht kannten; dass er uns hilft, wo wir schon verzweifelt waren und keinen Ausweg sahen; dass er uns zwar Leiden und Angst nicht erspart, dass er uns aber darinnen nicht alleine lässt, sondern uns gerade da ganz nahe sein kann, weil er das selber alles durchgemacht hat. Das und viel mehr werden wir erfahren, wenn wir damit Ernst machen, Gott kennenzulernen, indem wir bei seinem Sohn in die Lehre gehen. Je mehr wir nach Ihm fragen und von Ihm hören und nach Ihm verlangen, um so mehr werden wir Gott kennenlernen und dafür dankbar sein: Dankbar auch für unsere Stärke, unseren Reichtum und unsere Weisheit. Aber das alles nicht als etwas, das wir uns selber zugutehalten können, sondern das wir von Jesus Christus empfangen haben. Denn dass Er uns hält, wenn wir zu fallen drohen und er uns unsere Schuld abnehmen kann, das macht uns stark. Und dass Er uns versöhnt hat mit Gott und uns Zugang zum Vater im Himmel verschaffen will, das macht uns reich, auch dann, wenn wir sonst nicht viel besitzen mögen. Und dass er den Tod überwunden hat durch seinen Tod und seine Auferstehung, das macht uns weise, dieses Leben tiefer zu sehen und dankbar zu leben. Merken wir, liebe Gemeinde, wie entlastend das ist? Nicht unsere Leistungen und Taten zählen bei Gott, aber auch nicht unser Versagen und unsere Schuld; nicht unser Vermögen und unser Reichtum entscheiden über einen Platz im Himmel, aber auch nicht unsere Armut und Bedürftigkeit; nicht unsere Stärken und inneren Kräfte sind maßgeblich für Gottes Urteil, aber auch nicht unsere Schwächen und Unzulänglichkeiten. Wir brauchen uns nicht mehr krampfhaft in ein gutes Licht stellen vor den Leuten. Was allein zählt, aber das voll und ganz, ist was Gott in seiner Barmherzigkeit und Gerechtigkeit durch Jesus Christus für uns getan hat. Wenn wir das im Glauben annehmen und uns schenken lassen, dann sind wir weise, stark und reich. Dessen dürfen und sollen wir uns rühmen, wie Paul Gerhardt es tut: „Nun weiß und glaub’ ich feste, ich rühm’s auch ohne Scheu, dass Gott der Höchst’ und Beste, mein Freund und Vater sei und dass in allen Fällen er mir zur Rechten steh’ und dämpfe Sturm und Wellen und was mir bringet Weh. Der Grund, da ich mich gründe, ist Christus und sein Blut; das machet, dass ich finde das ewge, wahre Gut. An mir und und meinem Leben ist nichts auf dieser Erd; was Christus mir gegeben. Das ist der Liebe wert."

Lied: 351,2-5 Nun weiß und glaub ich feste

Gebet: Herr, unser Gott! Wir wollen Dich rühmen. Deine Güte, Barmherzigkeit und Gnade ist alle Tage neu. Dir verdanken wir unser Leben und alles, was es beinhaltet. Lass uns das immer wieder neu in Dankbarkeit erkennen. Bewahre uns davor, dass wir nur auf unsere Kräfte, auf unsere Weisheit, Stärke und Reichtum bauen. Lass uns erkennen, dass sie vergänglich sind und nur Du bleibst mit allem, was Du uns schenken willst. Lass es uns mit dankbaren Herzen annehmen. Herr, wir bitten dich für alle Menschen, die gefangen sind in Ichbezogenheit und Selbstruhm. Lass sie deine befreiende Gegenwart erfahren. Wir bitten dich für alle Menschen, die gefangen sind in Ängsten, Zweifeln und Bedrängnis. Gib du ihnen neuen Glauben und neue Zuversicht. Wir bitten dich für alle Notleidenden, Trauernden und Kranken. Gib du ihnen Kraft zum Tragen und neue Hoffnung. Wir bitten dich für diese ganze kranke Welt. Schenke ihr neue Hoffnung. Den Regierenden gib den Mut zu neuen Wegen, die eingeschlagen werden müssen, um aus den Krisen herauszufinden. Dir befehlen wir uns alle an und rufen zu dir mit den Worten, die dein Sohn uns gelehrt hat. (Vaterunser) Amen.
 
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