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Liebe Gemeinde!
"So ein Angeber!" - Sehr schnell fällt dieses Urteil, wenn jemand
unter uns sich rühmt. Vielleicht hören wir anfangs noch interessiert
zu, wenn da jemand von seinen Fähigkeiten berichtet und seine Erfolge
aufzählt. Wenn er aber dann zu dick aufträgt, schalten wir bald
ab. Und weil wir wissen, dass andere uns gegenüber genauso reagieren,
sind wir eher vorsichtig mit dem Selbstruhm. Nein, lieber Jeremia, wir
als Schwaben, sind bescheiden. Und wenn wir keine Schwaben, sondern nur
Reingeschmeckte sind, dann passen wir uns unserer Umgebung an. Wir nehmen
den Mund nicht zu voll. Wir rühmen uns nicht unserer Weisheit, unserer
Stärke und unseres Reichtums. Jedenfalls tun wir es nicht öffentlich,
sondern halten vor allem unseren Reichtum eher verborgen. Geht uns dann
dieses Prophetenwort heute nichts an? Sind bloß die anderen damit
gemeint: jene, die den Mund allemal so voll nehmen? Doch passen wir auf!
Wir sollten uns nicht gleich bequem zurücklehnen und die Prophetenworte
über andere ergehen lassen. Könnte es nicht sein, dass unsere
typisch schwäbische Zurückhaltung und Bescheidenheit nur Mittel
zum Zweck ist? Wir rühmen uns nicht selbst - ganz gewiss nicht! Aber
wir sind sehr wohl darauf bedacht in allem, was wir tun und sagen, in einem
möglichst positiven Licht zu erscheinen. Die ganze Art, wie wir uns
geben und wie wir uns verhalten, zielt darauf, dass eben andere uns rühmen
- und sei es mit den Worten: "Das ist aber ein bescheidener Mensch!" Irgendwie
ist das ja auch verständlich. Wir brauchen Anerkennung. Wir sind darauf
angewiesen, dass man uns schätzt. Schon kleine Kinder brauchen Lob
und Aufmunterung, um leben und sich entfalten zu können. Unser Selbstbewusstsein
hängt ein großes Stück weit von unserer Stellung in der
Gemeinschaft der Menschen ab, mit denen wir leben. Und weil wir wissen,
dass unser Leben vergänglich ist, sind wir darauf bedacht, etwas Bleibendes
zu schaffen. Wir Menschen wollen weiterleben, fortdauern in unseren Werken
und in dem, was man von uns erzählt. Da liegt der Ursprung aller Versuche
dessen, was die Bibel das "Sich-Rühmen" nennt - auch wenn dies nicht
in Form des Eigenlobes geschieht. Wir wollen irgendwie Ruhm erwerben, und
sei es auch im engsten Kreis der Familie, bei den Freunden, ja vielleicht
auch nur vor uns selbst. Dabei mag es sehr unterschiedlich sein, wessen
man sich rühmt. Ein lateinisches Sprichwort sagt: "Der Soldat zählt
seine Wunden, die Schafe der Hirte..." - wir können fortfahren: "...der
Pfarrer die Gottesdienstbesucher, der Beamte die bearbeiteten Akten, der
Sportler die Medaillen..." So hat jeder seinen kleinen Stolz; etwas, wo
er sich mit den anderen messen, sich den anderen überlegen fühlen,
sich ihnen gegenüber "rühmen" kann. In der hebräischen Sprache,
in der der Prophet Jeremia gesprochen hat, hat dieses Wort "Rühmen"
eine eigenartig eindrückliche, ganz konkrete Bedeutung. Es heißt
wörtlich übersetzt: "sich selbst zujubeln". Jeremia sagt uns
auch, weshalb wir uns zujubeln: Ein Weiser jubelt sich zu wegen seiner
Weisheit. Ein Starker wegen seiner Stärke, ein Reicher jubelt sich
zu, weil er reich ist. Weisheit, Stärke, Reichtum - das war die heilige
Dreifaltigkeit menschlicher Größe zur Zeit des Propheten Jeremia
- und sie ist es noch heute: Weisheit, Stärke, Reichtum - das zählt!
Ob nun der kleine Mann immer wieder selbstgefällig auf die Höhe
seiner Ersparnisse schielt oder der Großunternehmer die Milliardensumme
seines Umsatzes bekanntgibt - beide leben und handeln nach dem Motto des
reichen Kornbauers aus dem Evangelium, der seine gute Ernte eingebracht
und eingelagert hat und sich nun selbst zujubelt: "Liebe Seele, du hast
nun Vorrat auf viele Jahre. Habe nun Ruhe, iss und trink und habe guten
Mut." Wenn auch nicht für die Ewigkeit, so hat er doch für viele
Jahre einen festen Stand gewonnen gegen das lebensbedrohende Nichts. Er
weiß ja nicht, dass alles nur Illusion ist; dass ein Stärkerer
seine Hand nach ihm noch in dieser Nacht ausstrecken kann. Ein Stärkerer
auch als jener Goliath, der meinte, aufgrund seiner Körpergröße
und seiner eisernen Rüstung, Gott und seinem Volk hohnsprechen zu
können. Der eine jubelt sich zu, weil er jetzt reich ist und es zu
etwas gebracht hat und mit seinem Vorrat über viele Jahre ausgesorgt
zu haben meint; der andere, weil er der Stärke seiner Arme und seiner
Rüstung vertraut und jeden bezwingt, der ihm zu nahe kommt. Der Weise
aber betrachtet beide und erkennt, dass beide auf Sand gebaut haben: Weiß
der Reiche denn, was sein Reichtum morgen noch wert ist, was sein Reichtum
ihm helfen kann, wenn es ans Sterben geht? Und der Starke? Er ist doch
nur so lange stark, bis ein noch stärkerer über ihn kommt! Insofern
ist der Weise dem Starken und dem Reichen voraus und wenn er sich rühmt,
dann tut er es in leisem, bedachten Ton. Für den Weisen lautet der
Weisheit letzter Schluss: "Ich weiß, dass ich nichts weiß."
Die Resignation ist das letzte, wozu sich menschliche Weisheit emporschwingen
kann. Und so jubelt sich der Weise auch nicht lauthals zu wie Goliath und
er schaut auch nicht wohlgefällig auf seine großen Vorräte
wie der reiche Kornbauer. Aber in der Erkenntnis seiner Begrenztheit liegt
auch ein Stolz: "Ich habe alles durchschaut! Mir kann niemand etwas vormachen!
Meinem kritischen Blick ist nichts verborgen, auch die Geheimnisse Gottes
nicht. Und komme ich auch nicht gegen Gott an, so durchschaue ich ihn doch!"
II
Zu dem allen sagt Gott: Nein - "Ein Weiser rühme sich nicht seiner
Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher
rühme sich nicht seines Reichtums." So spricht der Herr durch das
Wort des Propheten. Die alten Griechen, die etwas davon ahnten, dass die
Gottheit menschlichen Hochmut zerbricht, sprachen hier von dem Neid der
Götter, die Menschen nicht hochkommen lassen wollen. Jeremia redet
aber nicht vom Neid Gottes. Der wahre Gott ist nicht neidisch. Er will
die Menschen nicht zerbrechen. Ja, er will sogar, dass der Mensch sich
selbst zujubeln kann, dass er auf etwas bauen und vertrauen kann. Er soll
sein Haupt erheben und sich selbst zujubeln: "Wer sich rühmen will,
der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der
Herr bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden."
Wir dürfen uns rühmen. Wir dürfen uns selbst zujubeln, liebe
Gemeinde, dass wir Gott kennen. Dass wir Ihm als den Barmherzigen kennen
und als den Gerechten. Als den Barmherzigen, der uns nicht unsere Fehler
und Sünden kleinlich nachrechnet und uns am Ende die Rechnung präsentiert,
an der jeder von uns - und sei er noch so stark, reich und weise - nur
zugrunde gehen muss. Und als den Gerechten, dessen Gerechtigkeit nicht
darin besteht, dass er in sturer Gesetzesmäßigkeit alle Menschen
aburteilt, sondern dass er gerecht machen und zurechtbringen will, was
vor ihm sonst keinen Bestand haben kann. Wir dürfen und sollen uns
also rühmen, diesen Gott zu haben und zu kennen, dessen Wesen Barmherzigkeit
und Gerechtigkeit und Liebe ist. Aber, liebe Gemeinde: Können wir
uns wirklich rühmen, diesen Gott zu kennen? Wer von uns könnte
so einfach von sich sagen: "Ich kenne Gott und weiß, dass er Barmherzigkeit,
Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden"? Wie schnell sind wir kleinlaut,
wenn jemand, der Schweres hat durchmachen müssen, uns fragt: "Wie
konnte Gott das zulassen?" Und wie schwer tun wir uns mit einer Antwort,
wenn wir gefragt werden: "Wo ist denn der barmherzige und gerechte Gott,
wenn kleine Kinder in den Hungergebieten dieser Welt verhungern oder wieder
unzähliche unschuldige Menschen bei einer Naturkatastrophe ums Leben
kommen?" Dann stehen wir verlegen da und statt uns zu rühmen, ringen
wir mühsam nach einer Antwort. Hoffentlich tun wir das und decken
unsere Verlegenheit nicht mit frommen Sprüchen zu. Es gibt nä
mlich auch eine Form der Ruhmsucht, die man religiösen Hochmut nennt:
Menschen, die der religiöse Hochmut gepackt hat, wissen alles besser
und durchschauen alles und haben für alles eine passende oder auch
weniger passende Bibelstelle parat. Nur: Man glaubt ihnen nicht. Man weicht
diesen Besserwissern aus und möchte sie am liebsten daran erinnern,
dass selbst ein Mann so voller Gotteserkenntnis wie Paulus ausgerufen hat:
"Wie unbegreiflich sind Gottes Gerichte und unerforschlich seine Wege;
denn wer hat des Herrn Sinn erkannt und wer ist sein Ratgeber gewesen?"
Wir müssen in der Tat bekennen: Wir wissen gar nicht viel und kennen
Gott nicht. Unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich sind seine
Wege. Aber wenn wir das wirklich tun, wenn wir so demütig werden und
von Herzen sprechen: "ich vertraue nicht meinem Reichtum, meiner Stärke,
meiner Weisheit, und ich kann mich auch nicht rühmen, den Herrn wirklich
zu kennen" - wenn wir das zugeben, dann werden wir unseren Herrn Jesus
Christus in seiner wahren Gestalt sehen. Und er sagt zu uns: "Es ist wahr,
niemand kennt den Vater als nur der Sohn, niemand, nur der Sohn - und der,
dem es der Sohn offenbart." Wer sich rühmen will, der rühme sich
des Herrn. Und wer sich des Herrn rühmen will, der muss bei dem Sohn
in die Lehre gehen und von Ihm lernen, wer dieser Herr ist. Wenn wir bei
Ihm, bei Jesus in die Lehre gehen, werden wir viel entdecken, vieles lernen,
viel wird uns offenbar werden. er wird uns zeigen, dass der Vater im Himmel
gütig ist über Bitten und Verstehen; - dass er uns mehr geben
kann, als wir erwarten; dass er uns Wege führt, die wir allein nie
eingeschlagen hätten, weil wir sie nicht kannten; dass er uns hilft,
wo wir schon verzweifelt waren und keinen Ausweg sahen; dass er uns zwar
Leiden und Angst nicht erspart, dass er uns aber darinnen nicht alleine
lässt, sondern uns gerade da ganz nahe sein kann, weil er das selber
alles durchgemacht hat. Das und viel mehr werden wir erfahren, wenn wir
damit Ernst machen, Gott kennenzulernen, indem wir bei seinem Sohn in die
Lehre gehen. Je mehr wir nach Ihm fragen und von Ihm hören und nach
Ihm verlangen, um so mehr werden wir Gott kennenlernen und dafür dankbar
sein: Dankbar auch für unsere Stärke, unseren Reichtum und unsere
Weisheit. Aber das alles nicht als etwas, das wir uns selber zugutehalten
können, sondern das wir von Jesus Christus empfangen haben. Denn dass
Er uns hält, wenn wir zu fallen drohen und er uns unsere Schuld abnehmen
kann, das macht uns stark. Und dass Er uns versöhnt hat mit Gott und
uns Zugang zum Vater im Himmel verschaffen will, das macht uns reich, auch
dann, wenn wir sonst nicht viel besitzen mögen. Und dass er den Tod
überwunden hat durch seinen Tod und seine Auferstehung, das macht
uns weise, dieses Leben tiefer zu sehen und dankbar zu leben. Merken wir,
liebe Gemeinde, wie entlastend das ist? Nicht unsere Leistungen und Taten
zählen bei Gott, aber auch nicht unser Versagen und unsere Schuld;
nicht unser Vermögen und unser Reichtum entscheiden über einen
Platz im Himmel, aber auch nicht unsere Armut und Bedürftigkeit; nicht
unsere Stärken und inneren Kräfte sind maßgeblich für
Gottes Urteil, aber auch nicht unsere Schwächen und Unzulänglichkeiten.
Wir brauchen uns nicht mehr krampfhaft in ein gutes Licht stellen vor den
Leuten. Was allein zählt, aber das voll und ganz, ist was Gott in
seiner Barmherzigkeit und Gerechtigkeit durch Jesus Christus für uns
getan hat. Wenn wir das im Glauben annehmen und uns schenken lassen, dann
sind wir weise, stark und reich. Dessen dürfen und sollen wir uns
rühmen, wie Paul Gerhardt es tut: „Nun weiß und glaub’ ich feste,
ich rühm’s auch ohne Scheu, dass Gott der Höchst’ und Beste,
mein Freund und Vater sei und dass in allen Fällen er mir zur Rechten
steh’ und dämpfe Sturm und Wellen und was mir bringet Weh. Der Grund,
da ich mich gründe, ist Christus und sein Blut; das machet, dass ich
finde das ewge, wahre Gut. An mir und und meinem Leben ist nichts auf dieser
Erd; was Christus mir gegeben. Das ist der Liebe wert."
Lied: 351,2-5 Nun weiß und glaub ich feste
Gebet: Herr, unser Gott! Wir wollen Dich rühmen. Deine Güte,
Barmherzigkeit und Gnade ist alle Tage neu. Dir verdanken wir unser Leben
und alles, was es beinhaltet. Lass uns das immer wieder neu in Dankbarkeit
erkennen. Bewahre uns davor, dass wir nur auf unsere Kräfte, auf unsere
Weisheit, Stärke und Reichtum bauen. Lass uns erkennen, dass sie vergänglich
sind und nur Du bleibst mit allem, was Du uns schenken willst. Lass es
uns mit dankbaren Herzen annehmen. Herr, wir bitten dich für alle
Menschen, die gefangen sind in Ichbezogenheit und Selbstruhm. Lass sie
deine befreiende Gegenwart erfahren. Wir bitten dich für alle Menschen,
die gefangen sind in Ängsten, Zweifeln und Bedrängnis. Gib du
ihnen neuen Glauben und neue Zuversicht. Wir bitten dich für alle
Notleidenden, Trauernden und Kranken. Gib du ihnen Kraft zum Tragen und
neue Hoffnung. Wir bitten dich für diese ganze kranke Welt. Schenke
ihr neue Hoffnung. Den Regierenden gib den Mut zu neuen Wegen, die eingeschlagen
werden müssen, um aus den Krisen herauszufinden. Dir befehlen wir
uns alle an und rufen zu dir mit den Worten, die dein Sohn uns gelehrt
hat. (Vaterunser) Amen.
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