Predigt 11 Pfarrer Karle

Predigt von Pfarrer Hans-Georg Karle
Gehalten am 22.09.2002 im Gottesdienst zur Einführung von Jugendreferentin Nicole Hess (siehe Bilderseite in www.evju-urbach.de ).
Biblischer Text: Epheser 4,1-6 

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Der Predigttext für den heutigen 17. Sonntag nach dem Dreieinigkeitsfest steht im Epheserbrief, Kapitel 4, die Verse 1-6:

So ermahne ich euch nun, ich, der Gefangene in dem Herrn, dass ihr der Berufung würdig lebt, mit der ihr berufen seid, in aller Demut und Sanftmut, in Geduld. Ertragt einer den andern in Liebe, und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens: EIN Leib und EIN Geist, wie ihr auch berufen seid zu EINER Hoffnung eurer Berufung; EIN Herr, EIN Glaube, EINE Taufe; EIN Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.

Liebe Gemeinde!
Mit einer Ermahnung fängt unser Predigttext an. Der Apostel ermahnt die christliche Gemeinde zu Ephesus, sich ihrer Berufung würdig zu erweisen. Heute geht es auch um Berufung: Die Berufung von Frau Nicole Heß in ihren Dienst an der Jugend hier in unserer Urbacher Kirchengemeinde und die Berufung unserer Gemeinde, ihren Dienst zu tragen und zu begleiten. Ich möchte aber nicht mit einer Ermahnung beginnen, sondern mit einer Geschichte zum Schmunzeln, die uns auf humorvolle Weise zum Nachdenken bringen soll (wenn man so will: auch eine Art Ermahnung). Die Geschichte stammt von Peter Bamm: Ein Herr geht durch eine stille Straße eines besseren Londoner Viertels. Am Eingang einer kleinen Villa sieht er, wie ein Mann sich bemüht, ein Pferd in den Hauseingang zu bugsieren. Er bleibt stehen und schaut verwundert zu. Nach einer Weile sagt der Mann mit dem Pferd: "Wissen Sie, wenn Sie Zeit haben, könnten Sie mir eigentlich ein bisschen helfen." "Aber gern!" Sie bugsieren also das Pferd zusammen die Treppe hinauf. Als sie im 1. Stock angekommen sind, will der Herr sich verabschieden. "Ach nein", sagt der andere, "entschuldigen Sie vielmals. Das Pferd muss nämlich noch in die Badewanne." Nach einer weiteren halben Stunde haben die beide das Pferd in der Badewanne verstaut. Es legt den Kopf auf den Rand und bleckt mit den Zähnen. Als der Herr sich verabschiedet, fragt er höflichst: "Verzeihen Sie, ich möchte ja nicht indiskret sein, aber können Sie mir nicht verraten, warum das Pferd in die Badewanne muss?" "Ja, wissen Sie", sagt da der Mann, "ich habe nämlich eine Freundin, die die Gewohnheit hat, immer nur ‚Na und?' zu sagen. Schenke ich ihr ein Theaterbillet, sagt sie ‚Na und?'. Schenke ich ihr eine Reise an die Riviera, sagt sie ‚Na und?'. Schenke ich ihr einen Brillantring, sagt sie ‚Na und?'" "Schon recht, aber was hat das mit dem Pferd in der Badewanne zu tun?" "Nun, in einer halben Stunde wird meine Freundin nach Hause kommen. Sie wird ins Badezimmer gehen, um sich die Hände zu waschen. Sie wird zu mir gestürzt kommen: ‚Um Himmels willen! In der Badewanne ist ein Pferd!' Und ich werde sagen: ‚Na und?''" Zugegeben: Eine etwas groteske Geschichte. Aber ich denke, manchmal stehen auch wir in der Gefahr, eine solche "Na-Und-Haltung" einzunehmen. So vieles ist uns ganz selbstverständlich geworden und das Staunen und das Danken sind uns abhanden gekommen! Gut, wenn so Anlässe wie der heutige uns wieder einmal wachrütteln und uns bewusst machen, wie viel uns doch geschenkt wird. Ich jedenfalls sehe es als ein großes Geschenk und Wunder Gottes an, dass die Initiative, die vor gut eineinhalb Jahren ergriffen wurde, von dem sichtbaren Erfolg gekrönt wird, den wir heute feiern können. Ausgehend von einem eindrucksvollen Hilferuf der Ortsver-antwortlichen unserer Jugendarbeit, kam es schließlich zu der Gründung des Fördervereins Evangelische Jugend, der es sich zum Ziel gesetzt hat, Spender zu finden, die mit ihrem Beitrag die Anstellung einer Fachkraft für die Jugendarbeit ermöglichen. Die Werbetrommel wurde gerührt, viele Aktionen wurden gestartet und Veranstaltungen organisiert und durchgeführt, so dass wir dann schließlich Anfang dieses Jahres es wagen konnten, die Stelle mit 50 % auszuschreiben. Aber würde sich überhaupt jemand melden auf eine Teilzeitstelle? Kenner der Szene hatten gewarnt: Der Markt ist gesättigt. In diesem Bereich gibt es viel zu viele offene Stellen. Da werdet ihr lange suchen müssen. So war es eine freudige Überraschung, dass wir gleich zwei qualifizierte Bewerbungen bekamen und wir nun mit Nicole Heß eine junge, kompetente Mitarbeiterin gefunden haben, der - so dürfen wir jetzt nach all den positiven Überraschungen -hoffen, es geschenkt wird, Zugang zu vielen jungen Menschen in unserer Gemeinde zu bekommen und es ihr gelingt, so manchen zur Mitarbeit zu motivieren. Diejenigen in unserer Gemeinde, die dies alles bisher wohlwollend aber distanziert, vielleicht auch skeptisch beobachtet haben, möchte ich einfach bitten, ihre Badewanne zu Hause einmal mit anderen Augen zu betrachten und vielleicht ein Pferd darin zu sehen, das mit den Zähnen bleckt. Wenn sie sich dann rasch in die Reihe der Förderer eingliedern, dann werden sie das etwas erschreckende Bild sicher schnell wieder los! Aber: Spaß beiseite! Was hat denn das alles mit unserem Predigttext zu tun? Ich denke, der Apostel Paulus musste da der Gemeinde zu Ephesus auch wieder die Augen öffnen und sie daran erinnern, was für ein großes Geschenk ihr mit der Berufung zum christlichen Glauben gegeben wurde. Möglicherweise war das erste Feuer der Begeisterung erloschen. Womöglich waren frühere Gegensätze zwischen Juden- und Heidenchristen wieder entflammt. Vielleicht hatten die sie umgebenden heidnischen Religionen im Alltag wieder stärkeren Einfluss auf die Christen gewonnen. Vielleicht gab es schlichtweg auch zwischenmenschliche Querelen in der Gemeinde - um Ämter und Macht; wer mit seiner Meinung Recht hat; welchem Engagement, welcher Frömmigkeitsprägung, welcher Gruppe mehr Gewicht zukommt…Ich denke, das ist uns alles nicht unbekannt. Deshalb erinnert der Apostel die Gemeinde an die Liebe, die Gott mit Jesus in sie investiert hat. In dreimal drei ein wenig formelhaft wirkenden Stichworten fasst er die Gaben der göttlichen Liebe noch einmal zusammen, die er zuvor in seinem Brief ausführlich entfaltet hat: "Denkt daran: Gott hat uns von Anfang an erwählt. Zur Gemeinschaft der Heiligen. Wir gehören zu ihm wie Kinder zu ihrem Vater. Oder sogar noch enger: Jesus ist das Haupt. Und wir, die Gemeinde sind sein Leib. Sein guter Geist beseelt unseren Organismus. Man kann sie nicht voneinander trennen, ohne ihnen Schaden zuzufügen. Weil Jesus Christus sein Leben für uns eingesetzt hat, sind wir erlöst. Frei von jeder Schuld. Und weil er lebt, gehört uns das Leben. Nicht nur jetzt, sondern auf immer! Wir sind Erben des Himmels. Keine Fremden, denen eine Zeit lang Gastfreundschaft gewährt wird, sondern Leute mit verbürgtem Wohnrecht. Unsere Taufe ist das verbindliche Zeichen für die Gnade, die uns Gott geschenkt hat. Für die Hoffnung, die zu leben wir berufen sind. Für die Liebe, die ein Echo verdient." Und dafür nur ein "Na und?" Nein, so denkt ihr bestimmt nicht?! Oder doch? Der Apostel muss die Epheser jedenfalls ermahnen, in aller Demut, Sanftmut und Geduld einer den anderen in Liebe zu ertragen. Sie sollen sich nicht ärgern an den internen Unterschieden, sondern sich auf das Gemeinsame besinnen: Der eine Herr, der eine Glaube, die eine Taufe, der eine Gott und Vater aller, der da ist über allem und durch alle und in allen. Wenn dies die gemeinsame Basis ist, dann darf es durchaus Unterschiede geben. Sie sind dann sogar Zeichen für besondere Lebendigkeit. Der Gemeinde von Ephesus (und uns) wird empfohlen, die Chancen zu sehen, die gerade in der Vielfalt der Gemeinde liegen. Der Apostel vergleicht die Gemeinde mit einem Leib, mit einem großen Organismus. Das leuchtet uns ein. In einem Organismus sind ganz verschiedene Organe. Und jedes Organ ist wichtig. Jedes trägt auf seine Weise bei zum Gelingen, zum Leben des Ganzen, sofern es - wie alle anderen - mit dem Haupt verbunden bleibt. Was für Ephesus gilt, gilt auch für uns. Die Unterschiede sind sinnvoll. Die Vielfalt macht reich. Vielleicht werden wir heute alle ein wenig umdenken müssen. Es gibt zum Beispiel nicht mehr die eine Gottesdienstform, die alle anspricht. Die Lieder, die den Älteren vertraut und lieb sind, finden die Jungen schlichtweg nicht mehr singbar und umgekehrt genauso. Wenn aber der Inhalt stimmt, dann müssen beide ihr Recht haben. Denn niemand kann dem anderen etwas aufzwingen, was ihm fremd bleibt. Die Zeiten sind vorbei, wo Älteren den Stil geprägt haben und die Jüngeren diesen übernahmen, wenn sie mal in das entsprechende Alter kamen. Sie bleiben einfach weg, wenn sie sich in der Gemeinde nicht zu Hause fühlen oder suchen sich was anderes und wandern aus der Ortsgemeinde aus. Deshalb ist es nicht allein wegen der jungen Menschen, denen wir zum Glauben helfen wollen, sondern auch um der Gemeinde willen wichtig, dass wir uns um die Jungen verstärkt bemühen und alles daran setzen, dass sie spüren: Wir sind willkommen in der Gemeinde; wir werden ernst genommen, unser Mitwirken ist gefragt. Und das, liebe Gemeinde, geht nur, wenn wir sie auch in ihrer Andersartigkeit akzeptieren und ihnen Raum geben, ihren eigenen Stil in der Gemeinde zu entfalten. Das gilt im Übrigen nicht bloß im Hinblick auf Jugendliche. Wie viele Erwachsene bis hin zu alten Menschen sind in unserer Gemeinde nicht zu Hause, nicht weil sie nichts glauben, sondern weil ihnen die unter uns gängige Art, den Glauben zu leben und auszudrücken einfach nicht entspricht? Ich denke, wir müssen es lernen, das Vielfalt nicht nur verwirrt, sondern auch bereichert. Unsere Art, den Glauben zu leben, kann nicht alleiniger Maßstab sein. In einer Gemeinde muss Raum sein auch für andere, für fremde Lebens- und Glaubenserfahrung, durchaus auch für konträre Frömmigkeitstypen. Wenn die Basis stimmt: ein Herr, ein Glaube, eine Taufe und alle darauf bedacht sind, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens, dann haben Evangelikale und Liberale, kirchlich Engagierte und Randsiedler genauso in ihr Platz. Wo kann dieser Raum eigentlich sein, wenn nicht in unseren Herzen? Es ist nicht damit getan, gewisse Mitglieder der Kirchengemeinde nicht zu verurteilen. Die Aufgabe ist, sich ihnen zu öffnen, ihren Beitrag zu hören und Neues von ihnen zu lernen. Was wirklich christlich ist, wesentlich und unverlierbar, wird im Miteinander erkannt. Hier gilt es auch, einen Augenblick hinauszuschauen über unseren Kirchturm - hin zur Gesamtheit unserer evangelischen Kirche und weiter noch zur Gesamtheit der Christen in aller Welt. Die Mahnungen von Ephesus gelten durchgehend. Überall werden die Christen gegenseitige Toleranz üben müssen. Sicher, die Aufsplitterung der einen Kirche Jesu Christi in viele Konfessionen kann uns nicht gefallen. Aber wir werden diese Aufsplitterung nicht dadurch überwinden, dass wir uns gegenseitig das Daseins-recht und das Soseins-recht bestreiten. Besser wäre, einander näher kennen zu lernen und in der jeweiligen Besonderheit und Originalität zu respektieren. Was wir brauchen ist nicht eine Superkirche, die alles nach Schema regelt. Was wir brauchen ist die Einheit in der Vielfalt. Und diese Einheit entsteht da, wo Jesus Christus die Mitte ist, also wo wir uns wirklich nach Ihm richten. Umdenken, auf andere zugehen, auf andere hören - das ist schwer, weil es ein Zurückstehen, ein sich Zurücknehmen verlangt, das der Apostel mit den in unserer Zeit nicht mehr so viel geltenden Begriffen "Demut, Sanftmut und Geduld" bezeichnet. Wahrscheinlich wird uns dies nur möglich sein, wenn wir uns daran erinnern, dass auch Gott zugegangen ist auf uns. Wenn Gott für uns ist, können wir für andere sein. Nein, wir müssen uns nicht immer behaupten. Wir können bestimmt auch verzichten, demütig sein - und der Gemeinde dienen - und dabei den jeweils anderen Platz lassen und Raum geben: den Jungen, den Alten, den Anderen. Nicht, indem wir weichen, sondern uns auf sie einlassen und dadurch reicher werden und spüren: "Gut, dass wir einander haben, gut, dass wir einander sehn; Sorgen, Freuden, Kräfte teilen und auf einem Wege gehn…" Amen.

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