Predigt 10 Pfarrer Karle

Predigt von Pfarrer Hans-Georg Karle
Gehalten am 13.09.2001 in Urbach zum Gedenkgottesdienst nach dem Terroranschlag in den USA
Biblischer Text: Matth.5,1-10

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Predigt beim Ökumenischen Bitt- und Gedenkgottesdienst anlässlich
der Terrorakte in den USA am 13.9.2001 in der Afrakirche in Urbach

Wir hören die Eingangsworte der Bergpredigt Jesu nach Matthäus 5, Vers 1-10 (Einheitsübersetzung):
Als Jesus die vielen Menschen sah, stieg er auf einen Berg. Er setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. Dann begann er zu reden und lehrte sie.
Er sagte:
Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden.
Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben.
Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden.
Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden.
Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen.
Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.
Selig, die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich.

Liebe in gemeinsamer Trauer und Sprachlosigkeit vereinte Mitchristen,
liebe Bürgerinnen und Bürger Urbachs!
Die Seligpreisungen Jesu:
Worte, die wie aus einer anderen Welt klingen – jetzt, da Terror und Gewalt, über unsere Welt hereingebrochen sind; Terror und Gewalt, die aus einem tiefen und unbegreiflichen Hass entspringen,
Sind es weltfremde Worte, die Jesus spricht, wo doch der Wahnsinn, der uns vorgestern in den Fernsehbildern entgegenschlug, Hilflosigkeit, Ratlosigkeit, ja unbändige Wut und das Bedürfnis nach Rache und Vergeltung hervorrufen?
„Selig, die keine Gewalt anwenden...; selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit...; selig, die Barmherzigen...; selig, die ein reines Herz haben...; selig, die Frieden stiften....“, sagt Jesus.
Es sind ganz andere Worte, die wir jetzt hören und sprechen– verständlicherweise: Worte wie Krieg, Vergeltung, Gegenschlag - ein ganzes Arsenal militärischer Begriffe wird jetzt bemüht, um auf diese Wahnsinnstat angemessen zu reagieren.
Da klingen Jesu Worte in der Tat wie aus einer anderen Welt. Sie sind es auch. Und doch sind sie in diese Welt hineingesprochen und zwar zu denen, die sich um Ihn scharen, wie damals auf dem Berg; zu denen, die seine Jüngerinnen und Jünger sein wollen – also zu uns, die wir uns Christen nennen und es auch sein wollen.
„Selig, die arm sind vor Gott...“ Ja, das sind wir jetzt: arm und hilflos, ohnmächtig und sprachlos und ganz und gar auf seine Hilfe angewiesen. In der „Bildzeitung“, der ich sonst nicht gerade vertraue, stand gestern die Wahrheit. In großen Lettern auf der ersten Seite waren dort die Worte zu lesen: „Großer Gott, steh uns bei!“ Gut, wenn wir das erkennen, dass wir seine Hilfe brauchen und nur mit Ihm dem allem angemessen begegnen können.
Und ich denke – so weltfremd die Worte Jesu auch erscheinen mögen, für uns als Christen können und sollen sie Maßstab sein – gerade jetzt in dieser Situation.
„Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden“ – Ja, das gilt jetzt– gerade jetzt für die Tausende, vielleicht Zehntausende, die in tiefe Trauer gestürzt wurden: die Angehörigen der Passagiere und Mannschaften der 4 entführten Maschinen...; die Angehörigen der unzähligen, die mit den Trümmern des World-Trade-Zentrums verschüttet und in den Flammen des Pentagon ums Leben gekommen sind; die Angehörigen der vielen, vielen Helfer, Feuerwehrleute und anderer Hilfsorganisationen, die bei ihrem Einsatz zu Tode kamen. - “...denn sie werden getröstet werden!“ – Durch wen? Auch durch uns, liebe Gemeinde: Auch unsere Gebete, unsere Fürbitte hat tröstende Kraft. Ich habe die Bilder und die Worte jenes jungen Mannes vor Augen, wohl der Bruder eines der Piloten der entführten Maschinen, der gestern in die Fernsehkamera hinein flehte: „Betet für uns!“ - Wir wollen es tun, von Herzen, und nicht nur hier und jetzt.

„Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben“, fährt Jesus fort. Es ist sein Gegenentwurf – weltfremd gewiss!
Aber ist es nicht der einzige Weg, die Spirale der Gewalt zu durchbrechen?
Rache und Vergeltungsgedanken kochen in uns. Aber – so Jesus an anderer Stelle: „Kann man den Teufel mit Beelzebub austreiben?“ Und was hilft es, Fanatikern, die den eigenen Tod nicht scheuen, wenn sie ihr vernichtendes Werk vollbringen, mit dem Tod zu drohen? Dingfest machen – Ja. Und vor menschliche Gerichte stellen und dem Unrecht rechtsstaatlich begegnen. Das letzte Urteil aber dem überlassen, vor dem wir alle einmal stehen werden.

„Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit“, sagt Jesus. Wir sind satt geworden, wir Christen in Europa, weil es uns gut geht und wir unter rechtsstaatlichen Verhältnissen leben, die zwar nicht hundertprozentig greifen, aber doch einen relativ hohen Rechtsschutz bieten. Aber muss es uns nicht zutiefst beunruhigen, dass ein Großteil der Menschheit solche Verhältnisse nicht kennt und dies nicht zuletzt auch Quelle für Terror und Gewalt auf dieser Welt ist? Hier gilt es, den Hunger und den Durst nach Gerechtigkeit mit den Betroffenen zu teilen und alles daran zu setzen, ihn zu stillen.
Barmherzig sein, ein reines Herz haben und Frieden stiften nennt Jesus noch und zeigt uns, wie sein Gegenentwurf bei uns im Kleinen – in unseren mitmenschlichen Beziehungen beginnen kann und ausstrahlen soll auf andere. Warum werden denn Menschen zu Fanatikern? Nicht zuletzt, weil sie wohl nie erfahren haben, was Barmherzigkeit ist, weil der Einfluss der Scharfmacher größer ist als derjenigen, die von manchen als „Gutmenschen“ belächelt werden. Und weil ihnen ein Gott vorgegaukelt wird, in dessen Namen man Heilige Kriege führen kann und soll. Sollen wir solchen Scharfmachern mit einem noch heiligeren Krieg begegnen? Ich denke, wir haben keine Heiligen Kriege zu führen. Wir haben vielmehr eine heilige Mission: Wir haben den zu verkündigen und im Sinne dessen zu leben, auf dessen Banner nicht Krieg und Gewalt, sondern die Nächsten- und sogar die Feindesliebe steht, weil er uns einen Gott gezeigt hat, der die Menschen so sehr liebt, dass er seinen eigenen Sohn für sie dahingegeben hat und der will, dass wir glücklich, sinnvoll und erfüllt leben – hier auf dieser Welt und einst in Ewigkeit!
Nur in der Verbindung mit Ihm, kann sich etwas ändern auf dieser Welt. Nur dort, wo immer wieder gefragt wird: Was würde Jesus sagen? Was würde er tun? und die Antwort darauf unser Handeln bestimmt, können die Barrieren des Hasses und die Mauern der gegenseitigen Angst durchbrochen und überwunden werden.
So ist das Gebet und das Hören auf Gottes Wort und das Handeln in seinem Sinn, der Weg, den wir als Christen zu gehen haben, wenn wir etwas dazu beitragen wollen, dass diese Welt nicht den Mächten des Chaos und der Finsternis überlassen werden.
Gott helfe uns dazu und schenke dieser Welt Frieden! Amen.

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