Predigt Vikar Seibold
Vikar Gunther Seibold
Predigt zum 31. Dezember 2000
Gehalten in der Afrakirche Urbach
Biblischer Text: Johannes 12,44-50
Thematische Stichwörter: Entlastung, Bilanz


Joh 12,44-50
44 Jesus aber rief:
Wer an mich glaubt, der glaubt nicht an mich,
sondern an den, der mich gesandt hat.
45 Und wer mich sieht,
der sieht den, der mich gesandt hat.
46 Ich bin in die Welt gekommen als ein Licht,
damit, wer an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe.
47 Und wer meine Worte hört und bewahrt sie nicht,
den werde ich nicht richten;
denn ich bin nicht gekommen, daß ich die Welt richte,
sondern daß ich die Welt rette.
48 Wer mich verachtet und nimmt meine Worte nicht an,
der hat schon seinen Richter:
Das Wort, das ich geredet habe,
das wird ihn richten am Jüngsten Tage.
49 Denn ich habe nicht aus mir selbst geredet,
sondern der Vater, der mich gesandt hat,
der hat mir ein Gebot gegeben, was ich tun und reden soll.
50 Und ich weiß: sein Gebot ist das ewige Leben.
Darum: was ich rede,
das rede ich so, wie es mir der Vater gesagt hat.

Liebe Gemeinde!

Heute geht das Millenium-Jahr zu Ende.
Seit Tagen schon lese ich in der Zeitung ganze Seiten
mit Rückblicken, Bilanzen, Auswertungen,
Übersichten.
Wieviel Wirtschaftswachstum war da?
Wieviel Besucher waren hier und dort?
Wieviel Verkehrsunfälle gab es?
Wie entwickelte sich die Arbeitslosigkeit?
Fragen über Fragen,
die alle beantwortet werden mit Zahlen und Fakten.

Daraus ergeben sich dann gleich auch Urteile:
Hat die Bundesregierung ihre Ziele erreicht?
Wie ist das Management des Unternehmens zu beurteilen?
Sind private Vorhaben erledigt worden?

Manchem tut es gut,
die Zahlen und Beurteilungen zu sehen,
weil er etwas abhaken kann und etwas erreicht hat.
In der Regel aber legen wir das dann schnell zur Seite
und widmen uns den unerledigten Dingen:
Das beschäftigt uns doch oft viel mehr,
was wir nicht erreicht haben.
Wo die hoch gesteckten Ziele verfehlt wurden.
Wo wir nicht so zum Zug kamen wie erhofft.

Was den Predigttext von heute
in diesem Zusammenhang von Jahresende und Bilanzen
so interessant macht
ist, dass auch er so eine Art Zäsur darstellt.
Diese Rede Jesu steht im Johannesevangelium an der Stelle
mitten im Evangelium,
wo Jesu öffentliche Wirksamkeit endet.
Was folgt, spricht Jesus nur noch im engen Jüngerkreis.

Vor dem Hintergrund des heutigen Tages,
des Bilanzierens an Silvester,
kann man auf diese Zwischenbilanz Jesu
gespannt sein:
Wie fällt sie aus, wo wir doch wissen,
dass viele Menschen Jesus nicht geglaubt haben?
Die großen Zahlen hat er doch nicht erreicht?
Wie fällt sie aus, wo wir wissen,
dass Jesus die hochgesteckten Ziele,
die andere an ihn herangetragen haben,
nicht erfüllt hat?

Jesus tritt nicht zurückhaltend auf,
selbstbewusst fängt er an und ruft:
Wer an mich glaubt, glaubt an Gott.
Wer mich sieht, sieht den Vater.
Aber was so selbstbewusst klingt,
entpuppt sich doch eigentlich als ein bescheidenes Zurückstehen:
Jesus nimmt sich selbst zurück
und macht den Vater, Gott, groß.
Damit entlastet Jesus sich selbst
und er kann auch uns zeigen,
dass wir entlastet werden können
bei der Rückschau und beim Bilanzieren.

Mir sind in diesen Worten aus dem Johannesevangelium
4 Entlastungen wichtig geworden:
Die ersten 3 Entlastungen können
konkret auf unser eigenes Bilanzieren angewendet werden.
Eine vierte Entlastung betrifft den Glauben an Jesus selbst
und fasst alles andere zusammen.

Die ersten Entlastungen entlasten dreifach:
1. Wir müssen nicht selbst etwas werden.
2. Wir müssen nicht viel werden.
3. Wir müssen nicht endgültig urteilen.

ENTLASTUNG 1
Die erste Entlastung wird hier mehrfach angedeutet:
Wir müssen nicht selbst etwas werden.
In den Worten des Johannesevangeliums
drückt sich das in der Rede von der Sendung Jesu aus:
Jesus ist der, der gesandt ist.
Es kommt nicht auf ihn selbst an,
sondern auf den, der ihn sendet.
Jesus kann das ewige Leben bringen,
weil in Gottes Gebot, in Gottes Wort ewiges Leben liegt.
Dass Jesus sich ganz aus der Sendung
durch den Vater heraus versteht,
wird da am deutlichsten,
wo er sagt: nicht aus mir selbst rede ich.

Das sagen zu können, halte ich für eine echte Entlastung.
Ich sage das bewusst auch als der,
der gerade predigt.
Es entlastet, nicht das Eigene predigen zu müssen,
eine eigene Heilslehre,
sondern das sagen zu dürfen, was Gottes Wort sagt.

Wir leben und glauben nicht aus uns selbst,
sondern durch Gott: "Gottes Gabe ist es" (Eph.2,8).
Diese Einstellung ist geradezu ein Gegenteil von dem,
was uns heute so oft unter Druck setzt.
Überall begegnet uns das Ziel:
Werde du selbst! Leiste deinen eigenen Beitrag!
Erfinde etwas Neues, Eigenes, Individuelles!
In dieser Perspektive genügt es dann nicht mehr,
Dinge gut zu machen.
Nein: es muss das Besondere und Beste sein.

Jesus kann uns da entlasten:
Seht, ich lasse mich senden.
Ich suche nicht zwanghaft das Eigene,
sondern lasse mich einbinden in das Werk,
das Gott tut.
Jesus ist Teil der universalen Sendung Gottes an die Welt.

Für unsere Bilanzen kann das eine wirksame Entlastung sein,
dass wir dem Erwartungsdruck an uns absagen können,
dass wir eben treu das tun, was wir können
und uns nicht zu Steigerungen zwingen lassen,
die uns nicht entsprechen.

Wir müssen nicht selbst etwas werden,
sondern dürfen Gott durch uns wirken lassen.

ENTLASTUNG 2
Der zweiten Entlastung habe ich die Überschrift gegeben:
Wir müssen nicht viel werden.

"Viel", damit meine ich die Quantität,
dass wir Erfolge in Zahlen messen.
Überall tun wir das ja inzwischen:
Das Lernen in der Schule drückt sich in Notenziffern aus,
die körperliche Leistungsfähigkeit wird in sportlichen Zahlen gemessen.
Auch das Zusammenleben bis hinein in die Kirche
wird über Geldmengen und Kosten beziffert.

Dabei wissen wir, wie schön es wäre,
wenn wir das vergangene olympische Motto leben könnten:
"Dabeisein ist alles".

Genau so aber klingt, was Jesus hier sagt.
Die großen Zahlen kann er eben nicht vorweisen.
Er weist hin auf sein Gekommensein, sein "Dasein" in der Welt.
Ich bin in die Welt gekommen als ein Licht,
damit, wer an mich glaubt,
nicht in der Finsternis bleibt.

Tatsächlich gefällt mir dieser Vergleich mit dem Licht.
Eine Kerze braucht nicht zu überlegen,
wieviel sie nun hell machen soll.
Sie brennt so, wie sie's vermag
und macht so von alleine die Dunkelheit um sie herum hell.

Eine Kerze brennt einfach so.
Sie bietet sich nicht dafür an,
dass man sie antreibt, schneller oder heller zu brennen.
Sie hat ihre Lichtstärke, ihre Wärme,
die ihr von ihrem Hersteller mit auf den Weg gegeben wurde.

Jesu Wort im Johannesevangelium regt dazu an,
wie wir entlastet werden können.
Er beschreibt sich als Licht, das einfach scheint in der Dunkelheit.
Er tut dies ohne die Effektivität dieses Lichtes zu messen.
Jesus fragt nicht nach Zahlen und Maßen,
nicht nach der Quantität.
Soviel wir im Leben mit den Zahlen umgehen müssen -
in Bezug auf den Glauben geht es nicht um Quantitäten,
er ist nicht meßbar und bilanzierbar.

Vielleicht sollten wir deshalb
jetzt einmal nicht fragen:
Wieviel haben wir erreicht?
Wie viele Menschen haben wir bedient?
Wie hoch sind die Zuwächse o.ä.?

Sondern:
Haben wir gelebt dieses Jahr?
Haben wir geglaubt dieses Jahr?
Und glauben wir weiter?
Haben wir - schlicht gesagt -
geleuchtet dieses Jahr,
einfach so,
mit dem Licht, das uns Gott gegeben hat?
Einfach mit der kleineren oder größeren Kraft,
die uns Gott gegeben hat?

Diese zweite Entlastung ist nicht billig.
Sie meint nicht, dass alles egal sei.
Es ist wichtig, dass wir leben,
dass wir glauben, dass wir leuchten.
Aber vom ängstlichen Starren auf das "Immer mehr"
will uns Jesus befreien.
Wir müssen nicht viel werden,
sondern dürfen dasein.

ENTLASTUNG 3
Die dritte Entlastung Jesu ist,
dass wir nicht endgültig urteilen müssen.

Nicht einmal Jesus selbst urteilt.
Er kann seinen Erfolg und Misserfolg
zunächst auf sich beruhen lassen.
Ich zitiere:
Wer meine Worte hört und nichts damit anfängt,
den werde ich nicht richten;
denn ich bin nicht gekommen zu richten,
sondern dass ich die Welt rette. ...
Das Wort Gottes, das ich rede,
das wird richten am jüngsten Tage.

Wir dürfen uns also erst recht vom Urteilen entlasten.
Wir dürfen das Urteil unserer Bilanzen relativieren.
Was wissen wir auch schon darüber,
welchen Wert dies und jenes in unserem Leben hat!
Mancher hat da schon Überraschungen erlebt,
weil vorschnell geurteilt worden war.

Ein alter Jungscharleiter erzählte mir,
wie er einmal nach Jahren
von einem jungen Mann angesprochen wurde,
der sagte, dass ihm eine bestimmte Andacht in der Jungschar
für sein Leben entscheidende Impulse vermittelt habe.
Auch der Jungscharleiter erinnerte sich an diese Andacht, -
aber mit Schrecken!
Sie war ihm als völlig gescheitert in Erinnerung geblieben.
Keiner, so meinte er, hatte aufgepasst.
So hatte Gott aus Gescheitertem Gutes werden lassen.
Er hat auf krummen Linien gerade geschrieben.

Unsere Bilanzen am Jahresende
und unsere menschlichen Bilanzen überhaupt
dürfen sich daher von Jesus entlasten lassen.
Wir müssen nicht das endgültige Urteil fällen.
Das steht in Gottes Hand.

ENTLASTUNGEN 1-3
Jesus kann uns so helfen,
dass wir entlastet werden beim Bilanzieren:
Wir müssen nicht selbst, aus uns heraus etwas werden.
Wir müssen nicht viel werden, leben nicht von Zahlen und Maßen.
Wir haben kein endgültiges Urteil, sondern dürfen es Gott überlassen.
ENTLASTUNG 4
Schließlich gibt uns dieses Jesuswort auch noch eine vierte Entlastung,
die unser Glauben an ihn betrifft.
Er sagt hier im Johannesevangelium:

Wer an mich glaubt, der glaubt nicht an mich,
sondern an den, der mich gesandt hat.

Ich möchte mit eigenen Worten ausdrücken,
warum das entlasten kann.
Es geht in zwei Richtungen:

Die erste:
Wir müssen nicht an einen bloßen Menschen glauben.
Gerade an Weihnachten,
wo wir uns das kleine Kind in der Krippe vorstellen,
brauchen wir uns nicht damit zu überfordern,
dass wir ein kleines Kind an sich
für Gott halten müssten.
Wäre unser Glaube eine Religion,
bei der wir an einen Menschen glauben müssten,
dann wäre er rasch widerlegt.
Jesus unterstreicht:
Ihr glaubt, wenn ihr mich seht,
nicht an den Menschen,
sondern an Gott.
Weil dieser Mensch Jesus, den ihr seht,
der historischer Mensch war,
weil er von Gott gesandt wurde.

Auch vom entgegengesetzen Problem entlastet Jesus:
Wir müssen nicht an einen nur unsichtbaren Gott glauben,
von dem man nichts Genaues wissen kann.
Gott hat Jesus gesandt und gegeben,
damit unser Glaube es leichter hat,
damit wir für unseren Glauben ein Gegenüber haben,
das wir uns vorstellen können.

Nicht an einen Menschen allein
und nicht an das Unsichtbare allein
glauben wir also,
sondern wir glauben an Gott,
wie er sich in dem Menschen Jesus gezeigt hat -
geoffenbart hat.

Sich auf diesen Glauben einzulassen,
sich auf Jesus einzulassen,
das kann entlasten.

SCHLUSS

Weil wir in Jesus Gott begegnen,
weil wir im Glauben unser Jahr beschließen
dürfen wir uns von Jesus entlasten lassen.
Wir müssen nicht selbst etwas werden.
Wir müssen nicht viel werden.
Wir müssen keine abschließenden Urteile fällen.

Bei Jesus selbst wurde aus einer mageren Zwischenbilanz
und einem scheinbaren Scheitern
die Vollendung seiner göttlichen Sendung.

Lassen Sie uns das neue Jahr
mit den neuen Zahlen und Zielen
angehen im Lichte Jesu,
mit der Gewissheit des ewigen Lebens aus seiner Botschaft.
Aus all den Bilanzen werden vor diesem Horizont
Vorläufigkeiten,
die wir in der Sendung Gottes gestalten können.

Amen.
 
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